Art. 290 SchKG    2. Passivlegitimation

DruckversionDie Anfechtungsklage richtet sich gegen die Personen, die mit dem Schuldner die anfechtbaren Rechtsgeschäfte abgeschlossen haben oder von ihm in anfechtbarer Weise begünstigt worden sind, sowie gegen ihre Erben oder andere Gesamtrechtsnachfolger und gegen bösgläubige Dritte. Die Rechte gutgläubiger Dritter werden durch die Anfechtungsklage nicht berührt.Inhaltsübersicht

Durchgriff bzw. umgekehrter Durchgriff: vgl. dazu unter Allgemeines

Tatsächlich Begünstigter

Begriff: Passivlegitimiert ist stets die tatsächlich begünstigte Person, also diejenige, der die fraglichen Vermögenswerte aufgrund der anfechtbaren Rechtshandlung zugeflossen sind BGE 135 III 265 E. 3. bzw. die von dieser profitiert hat BGer 5A_353/2011 E. 5.5. Dies ist in der Regel der Vertragspartner des Schuldners. BGE 135 III 265 E. 3. – Dies setzt nicht voraus, dass der Begünstigte direkt mit dem Schuldner in Kontakt stand. Es genügt, wenn der Begünstigte durch einen Vertreter agierte. BGer 5A_682/2011 E. E. 4.2.2.

Drittpersonen: Die Verpflichtung zur Rückgewähr trifft in erster Linie den tatsächlich Begünstigten und nicht Drittpersonen, die mit dem direkt Begünstigen Rechtsgeschäfte abgeschlossen haben und die im Anfechtungsprozess nicht Partei sind. Soll einem Rechtsnachfolger des Anfechtungsgegners die Anfechtung entgegengehalten werden, so kann er selber mit einer Anfechtungsklage ins Recht gefasst werden. BGer 5A_397/2013 E. 4.1.

Inkassomandatar: Trat die Begünstigung aufgrund des angefochtenen Rechtsgeschäfts bei einem Dritten ein, so richtet sich die Klage gegen diesen (Art. 290 SchKG). Besteht dergestalt ein Inkassoverhältnis mit Abrechnungspflicht, dass der Zahlungsempfänger die vom Schuldner erhaltene Zahlung unmittelbar an den Gläubiger der getilgten Forderung weiterleitet, dann fehlt es dem Inkassomandatar (sozusagen als Zahlstelle) an der Passivlegitimation. BGE 135 III 265 E. 3. BGer 5A_682/2011 E. 4.2.2.

Einheitliches Rechtsgeschäft: Verweis: vgl. dazu zu Allgemeines

Beklagter bei einem einheitlichen Rechtsgeschäft: Folge eines einheitlichen Rechtsgeschäfts ist, dass auch das zweite Rechtsgeschäft (in casu die Einräumung eines Wohnrechts) in betreibungsrechtlicher Hinsicht unbeachtlich ist. Die Anfechtbarkeit (auch des Vorrechts) kann ohne weiteres im Verfahren gegen den Grundeigentümer als Anfechtungsgegner (in Bezug auf das Veräusserungsgeschäft) festgestellt werden. Der Anfechtungsgegner hat als Folge der Anfechtbarkeit die Verwertung des Grundstücks ohne das Wohnrecht zu dulden. BGE 130 III 235 E. 6.2. BGer 5C.3/2007 E. 3. vgl. Urteil der ersten Instanz in BGer 5A_19/2014 Sachverhalt B Urteil der ersten Instanz in BGer 5A_391/2012 Sachverhalt B. Urteil der beiden kantonalen Instanzen in BGer 5A_747/2010 Sachverhalt C. Verweis: vgl. auch dazu, ob der Schuldner selbst bösgläubiger Dritter sein kann unten

Kommentar 1: Dies scheint zwar pragmatisch. Die Duldung der Verwertung des Objektes ohne das Vorrecht des Schuldners trifft, in Bezug auf das Vorrecht, jedoch (nur) den Schuldner und nicht dessen Vertragspartner. Zivilprozessual scheint es fragwürdig bzw. unzulässig, ein Leistungsurteil (nämlich ein Dulden) in einem Anfechtungsprozess zulasten des nicht prozessbeteiligen Schuldners zu erlassen. Das Bundesgericht hat es zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass in Ausnahmefällen auch der Schuldner selbst bösgläubiger Dritter sein könne; dies bedinge aber eine klare Trennung zwischen dem anfechtbaren und der späteren (partiellen) Singularsukzession (BGE 130 III 235 E. 6.1.2. vgl. dazu unten). In Bezug auf den Kausalzusammenhang mag dies zutreffen. Für die Frage der Passivlegitimation trifft dies nicht zu. Der „Systemfehler“ eines Urteils auf Duldung, welche Last eine Partei (den Schuldner) trifft, die nicht Prozesspartei ist, bleibt aber bestehen. Der Schuldner muss (auch) mit beklagt werden. Verweis: vgl. auch das Urteil der ersten Instanz in BGE 130 III 235 Sachverhalt B, wo der Schuldner selbst auch Beklagter war

Bösgläubiger Dritter

Begriff des bösgläubigen Dritten: Unter dem bösgläubigen Dritten wird der Rechtsnachfolger (Singularsukzessor) des Anfechtungsbeklagten (Vertragspartner des Schuldners) verstanden BGer 5A_682/2011 E. 4.2.2. der vom Bestand der Anfechtungsschuld wusste. BGE 135 III 513 E. 7.1. BGE 130 III 235 E. 6.1.1. BGer 5A_397/2013 E. 4.3.1. BGer 5A_210/2007 E. 5.2.1. KGer VS C1 21 80 E. 16.1 OGer GL OG.2016.00058 E. V.5.4.6. – Für die Passivlegitimation des bösgläubigen Dritten kommt es einzig darauf an, dass dieser als Singularsukzessor einen anfechtbar erworbenen Vermögenswert erwirbt. Das die Singularsukzession begründende Rechtsgeschäft muss nicht anfechtbar sein. OGer GL OG.2016.00058 E. V.5.4.6. vgl. auch BGE 135 III 513 E. 8.1.

Bösgläubigkeit: Als bösgläubig ist ein Dritter anzusehen, welcher die Umstände, die die Anfechtbarkeit des Erwerbs seines Rechtsvorgängers begründet, kannte oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte kennen müssen. BGE 135 III 513 E. 7.1. BGer 5A_397/2013 E. 4.3.1. BGer 5A_210/2007 E. 5.2. KGer VS C1 21 80 E. 16.1 OGer GL OG.20016.00058 E. V.8.3.1. Die Kenntnis über die genaue wirtschaftliche Lage des Schuldners ist nicht vorausgesetzt. Es genügt, dass der Dritte bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen können, dass der Schuldner eine Gläubigerschädigung als mögliche Folge seiner Handlung in Kauf genommen hat. BGE 135 III 513 E. 7.4.1.

Teilrechtsnachfolge: Als Singularsukzession kommt auch eine bloss teilweise Rechtsnachfolge in Frage, wie dies bei der Einräumung eines Pfandrechts der Fall ist. BGer 5A_397/2013 E. 4.3.1. BGer 5A_210/2007 E. 5.2.

Kettengeschäfte: Verweis: vgl. zur Anfechtbarkeit von Kettengeschäften Allgemeines

Kommentar 2: Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden eines einheitlichen Rechtsgeschäfts und eines Kettengeschäfts vgl. zu Allgemeines

Beweis: Die Beurteilung, ob der Dritte die fraglichen Umstände kannte, betrifft eine innere Tatsache und unterliegt damit der Beweiswürdigung der Indizien. BGE 135 III 513 E. 7.1. KGer VS C1 21 80 E. 16.1  OGer GL OG.2016.00058 E. V.8.3.1.

Massgeblicher Zeitpunkt: Massgebend in Bezug auf die Bösgläubigkeit ist der Zeitpunkt der Rechtsnachfolge (Singularsukzession) und nicht der Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung. BGE 135 III 513 E. 7.1. BGer 5A_397/2013 E. 4.3.1. BGer 5A_210/2007 E. 5.2.  KGer VS C1 21 80 E. 16.1  OGer GL OG.2016.00058 E. V.8.3.1. HGer SG HG.2008.56 E. 4. (=GVP 2010 Nr. 128)

Beklagter: Die Klage richtet sich gegen den Dritten, der mit dem Schuldner zusammengearbeitet hat. BGer 5A_28/2012 E. 2.

Kommentar 3: Diese Umschreibung ist etwas gar generisch.

Passivlegitimation des Schuldners? Der Schuldner ist grundsätzlich nicht selbst Partei im Anfechtungsprozess. BGE 130 III 235 E. 6.1.1. BGer 5A_557/2011 E. 2.1.1. KGer VD Jug/2011/64 E. II.a. Ihm fehlt die Passivlegitimation. EGV-SZ 2003 A. 6.7 E. 1d und zwar auch dann, wenn er Begünstigter eines Vorrechts (in casu Wohnrecht) ist. EGV-SZ 2003 A 6.7 E. 1d. Es mag nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass in Ausnahmefällen der bösgläubige Dritte wiederum der Schuldner sein kann. Dies bedingt aber eine klare Trennung zwischen dem anfechtbaren Rechtsgeschäft und der späteren (partiellen) Singularsukzession. BGE 130 III 235 E. 6.1.2. BGer 5A_557/2011 E. 2.1.1. contra: Wenn der Schuldner selbst von der angefochtenen Rechtshandlung profitiert, kann auch er passivlegitimiert sein. KGer VD Jug/2010/24 E. VI.a. vgl. auch KGer VD HC/2916/361 E. 3.6.

Kommentar 4: Diese Sichtweise des Bundesgerichts scheint zwar pragmatisch, ist jedoch teilweise unzutreffend. M.E. müssen jedoch drei Dinge auseinandergehalten werden:

(i) Unter dem Erfordernis, dass eine anfechtbare Handlung des Schuldners vorliegen muss, macht das Konstrukt der einheitlichen Rechtshandlung Sinn, welches es erlaubt, auch Handlungen Dritten (sozusagen als fortgesetzte Handlungen des Schuldners) „mit langem Arm“ mit anfechten zu können.

(ii) Auch unter dem Erfordernis des Kausalzusammenhangs macht dieses Konzept Sinn.

(iii) Für die Frage der Passivlegitimation des Schuldners scheint jedoch eine andere Sichtweise geboten. Die Verwertung des Objektes ohne das Vorrecht dulden zu müssen, betrifft bzw. belastet einzig den Schuldner, welchem dieses Vorrecht zusteht, und nicht dessen Vertragspartner.

Zivilprozessual scheint es daher fragwürdig bzw. unzulässig, ein Leistungsurteil (nämlich ein Dulden; vgl. dazu zu Art. 291) in einem Anfechtungsprozess zulasten des nicht als Prozesspartei beteiligen Schuldners zu erlassen. Dies widerspricht dem prozessualen Grundsatz, dass sich die Rechtkraft von Leistungsurteilen nur auf die Prozessparteien erstreckt. Materielle Rechtskraft bedeutet Massgeblichkeit des Urteils unter den Parteien. BGE 142 III 210 E. 2 BGE 139 III 126 E. 3.1. Sie betrifft in subjektiver Hinsicht denn auch nur die am Verfahren beteiligten Parteien. BGer 4C.130/2003 E. 1.3. Soweit der Schuldner selbst betroffen ist (oder dessen Ehegatte) muss sich die Anfechtungsklage (auch) gegen diesen richten – und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine einheitliche Rechtshandlung handelt oder nicht. Die Konkurseröffnung entfaltet ihre Wirkungen gegenüber dem Schuldner ex lege, so dass sein Vermögen in die Masse fällt (Art. 197 SchKG) und er nicht mehr darüber verfügungsberechtigt ist (Art. 204 SchKG). Aufgrund dessen muss der Gemeinschuldner im Normalfall nicht mit eingeklagt werden. Wenn der Schuldner sich jedoch (im paulianisch anfechtbarer Weise) Rechte einräumen lässt, welche – mangels Pfändbarkeit nicht zur Konkursmasse gehören (so verhält es sich bei einem persönlichen Wohnrecht [Art. 776 Abs. 2 ZGB] oder Nutzniessungsrecht in Bezug auf die Nutzniessung als solcher [nicht aber in Bezug auf die für die Ausübung der Nutzniessung fliessenden Rechte; Art. 758 ZGB; Art. 93 SchKG; BGE 113 II 121 E. 2b/aa BGE 94 III 8 E. 1]), dann kann einzig ein Anfechtungsurteil Wirkungen zulasten des Schuldners entfalten. Aus diesem Grund ist der Gemeinschuldner in diesen Ausnahmefällen zwingend als Beklagter in den Anfechtungsprozess miteinzubeziehen. Verweis: vgl. auch das Urteil der ersten Instanz in BGE 130 III 235 Sachverhalt B, wo der Schuldner selbst ebenfalls Beklagter war, sowie KGer VD Jug/2010/24 E. VI.a. und KGer VD HC/2916/361 E. 3.6.

Passivlegitimation bei mehrgliedrigen Sachverhalten: Der Schuldner übereignete Grundstücke als Erbvorbezug an seine beiden Kinder. Diese begründeten unmittelbar nachfolgend ein Nutzniessungsrecht zugunsten des Schuldners (Vaters) und dessen Ehefrau und belasteten die Grundstücke mit einem neuen Schuldbrief. Da die Einräumung der Nutzniessung und die Errichtung des neuen Schuldbriefs die Schädigung bewirkten, hätte sich die Anfechtungsklage gegen den Vater und die Mutter in Bezug auf die Nutzniessung bzw. gegen die Bank in Bezug auf die Errichtung des Schuldbriefes richten müssen (und nicht gegen die beiden Kinder als Eigentümer der Grundstücke). KGer VD HC/2916/361 E. 3.6.

Kommentar 5: Der Entscheid geht offenbar davon aus, dass weder ein einheitliches Rechtsgeschäft noch ein Kettengeschäft bzw. keine Bösgläubigkeit der (partiellen) Rechtsnachfolger vorlag. In diesem Fall scheidet eine paulianische Anfechtung jedoch schon deshalb aus, weil diese Akte von den beiden Kindern als Empfänger ausgingen, so dass es diesbezüglich an einer anfechtbaren Handlung des Schuldners fehlte.

Verhältnis zu den Tatbestandsmerkmalen der Art. 286 bis 288 SchKG: Mit Art. 290 SchKG, welcher die Passivlegitimation regelt, wird kein neuer (bzw. weiterer) Anfechtungsfall bzw. Anfechtungstatbestand begründet. BGE 135 III 513 E. 8./E. 8.1. – Die Bösgläubigkeit des Rechtsnachfolgers ist ein Tatbestandselement, das unabhängig von den Voraussetzungen der Anfechtbarkeit gemäss den Art. 286 bis 288 SchKG besteht bzw. erfüllt sein muss. BGer 5A_210/2007 E. 5.2.

Solidarhaftung: Sind die Voraussetzungen erfüllt, dass ein bösgläubiger Dritter belangt werden kann, so haften der Vertragspartner des Schuldners und der bösgläubige Dritte solidarisch. BGE 135 III 513 E. 7.1. KGer VS C1 21 80 E. 16.1 HGer SG HG.2008.56 E. 4, E. 10. (=GVP 2010 Nr. 128) Es handelt sich nicht um eine echte Solidarität („pas de solidarité parfaite“). KGer VD Jug/2010/24 E. VI.a. Der Anfechtungskläger kann wählen, gegen welchen der beiden er vorgehen will. KGer VD Jug/2010/24 E. VI.a.

Kasuistik

Passivlegitimation bejaht

  • Drittschuldner, welcher durch eine Schuldübernahme (welcher der Vollstreckungsschuldner als Gläubiger zugestimmt hatte) von seiner Zahlungspflicht dem Schuldner gegenüber befreit wurde BGer 5A_353/2011 E. 5.5.
  • Vertragspartner in Bezug auf ein einheitliches Rechtsgeschäft (in casu Veräusserung eines Grundstücks unter gleichzeitiger Einräumung eines Wohnrechts an den Schuldner) und zwar auch in Bezug auf die Anfechtbarkeit des Wohnrechts BGE 130 III 235 E. 6.2. BGer 5C.3/2007 E. 3.

Passivlegitimation verneint

  • Schuldner bei Eigentumsübertragung am Grundstück durch ihn an einen Dritten und gleichzeitiger Einräumung eines Wohnrechts durch den Dritten zu Gunsten des Schuldners BGE 130 III 235 E. 6.1.2.
  • Inkassomandatar (Flughafen Zürich AG), welcher aufgrund eines Inkassomandates mit dem Gläubiger (Skyguide) dessen Forderungen (Flugsicherungsgebühren) beim Schuldner (Swissair) vereinnahmt und die vereinnahmten Beträge bereits an den Gläubiger weitergeleitet hatte BGE 135 III 265 E. 3.
  • Anwalt, der Geld über seine Kanzlei vereinnahmte und dann dem Klienten (Gläubiger) weiterleitete BGer 5A_682/2011 E. 4.2.2.
  • Bank, welche dem Vertragspartner des Schuldners gegen Bestellung einer Sicherheit an Schuldbriefen einen Kredit eingeräumt hatte, welche Schuldbriefe der Vertragspartner vorgängig vom Schuldner erworben hatte BGer 5A_210/2007 E. 5.

Mehrere passivlegitimierte Personen

Es gibt keine gesetzliche Grundlage, welche den Anfechtenden verpflichten würde, gleichzeitig gegen sämtliche möglichen Anfechtungsbeklagten vorzugehen. Aus diesem Grund sind sie auch keine notwenige Streitgenossenschaft i.S.v. Art. 70 Abs. 1 ZPO.  BGer 5A_233/2022 E. 2

Sonstige Aspekte

Legitimation des Anfechtungsbeklagten zur SchKG-Beschwerde: vgl. zu Art. 285

Parteistellung des Anfechtungsbeklagten im Verfahren um Anerkennung eines ausländischen Insolvenzentscheids: Der Anfechtungsgegner (als Drittschuldner) ist von der Anerkennung eines ausländischen Insolvenzdekrets in der Schweiz (gemäss Art. 166 ff. IPRG) nicht direkt betroffen. Er ist deshalb nicht Gegenpartei im Anerkennungsverfahren. BGE 139 III 504 E. 3.3., E. 3.4.