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Art. 288 SchKG    3. Absichtsanfechtung

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1Anfechtbar sind endlich alle Rechtshandlungen, welche der Schuldner innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Pfändung oder Konkurseröffnung in der dem anderen Teile erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen.

2Bei der Anfechtung einer Handlung zugunsten einer nahestehenden Person des Schuldners trägt diese die Beweislast dafür, dass sie die Benachteiligungsabsicht nicht erkennen konnte. Als nahestehende Personen gelten auch Gesellschaften eines Konzerns.

Ratio legis

Positiv: Der Zweck der Bestimmung liegt in der Gläubigergleichbehandlung. BGE 136 III 247 E. 2. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGE 134 III 615 E. 4.3. (Pra 2009 Nr. 44) BGE 134 III 273 E. 4.4.1. BGer 5A_835/2012 E. 2.1. BGer 5A_750/2008 E. 2. ZR 2005 Nr. 78 S. 300 KGer VD Jug/2011/64 E. II.a. KGer VD Jud/2010/24 E. II.a.

Negativ/dem Schuldner „aus der Klemme helfen“: Die Anfechtungsklage hat nicht zum Zweck, alle Versuche zur Rettung des Schuldners unmöglich oder sehr gefährlich zu machen. Es liegt im Interesse der Gläubiger, dass Dritte versuchen, dem Schuldner zu Hilfe zu kommen BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8), ohne Gefahr zu laufen, im Falle der Nutzlosigkeit der Bemühungen das Entgelt für ihre Leistungen zurückzahlen zu müssen. BGE 135 III 276 E. 8.1. BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1.  BGer 5A_316/2016 E. 5.3 Die Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass es erlaubt ist, dem Schuldner „aus der Klemme zu helfen“. Die Anfechtungsklage will demzufolge nicht verhindern, dass einem bedrängten Schuldner durch Gewährung von Zahlungsmitteln geholfen wird, sofern nur diese Hilfe ernstlich als erfolgsverheissend betrachtet werden kann. BGE 137 III 268 E. 4.2.3. BGE 134 III 452 E. 5.2. BGer 5A_116/2009 E. 6.1. BGer 5A_386/2008 E. 4.1. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.1. BGer 5A_64/2008 E. 6.2.2.

Negativ/keine Immobilisierung des Schuldners: Es geht beim Institut der Anfechtungsklage nicht darum, den Schuldner faktisch seiner Handlungsfähigkeit zu berauben und ihn zu immobilisieren BGer 5A_835/2012 E. 2.1. Damit würde in der Regel seine sofortige Konkursreife herbeigeführt, was selten im Interesse der Gläubigergesamtheit liegen dürfte BGE 137 III 268 E. 4.2.1. Dem Schuldner muss mit anderen Worten selbst in schwierigen Zeiten bzw. bei finanziell angespannter Lage eine normale Geschäftstätigkeit möglich sein. BGE 136 III 247 E. 2. BGer 5A_604/2012 E. 2.1. BGer 5A_750/2008 E. 2. BGer 5A_386/2008 E. 4.3. Auch sachlich motivierte Entscheide des Schuldners im Rahmen dieser Tätigkeit können naturgemäss eine Ungleichbehandlung der Gläubiger beinhalten. BGE 136 III 247 E. 2. BGer 5A_604/2012 E. 2.1. BGer 5A_750/2008 E. 2.

Kommentar 16: Diese negativen Umschreibungen mögen zwar zutreffend sein. Sie sind jedoch nicht justiziabel bzw. sie erlauben es m.E. kaum, im Einzelfall eine Subsumption vorzunehmen. Letztlich ist dies das Spielbild des sehr offen gehaltenen Gesetzeswortlauts. Damit sind dem Versuch, die ratio legis negativ zu umschreiben, naturgemäss (enge) Grenzen gesetzt.

Unlautere Machenschaften: Die Anfechtungsklage soll dort greifen, wo es um unlautere Machenschaften geht, wie es namentlich der Fall ist, wenn Vollstreckungssubstrat beiseite geschafft worden ist, das sich bei normaler Geschäftstätigkeit in der Masse noch vorgefunden hätte BGE 137 III 268 E. 4.2.1. BGE 136 III 247 E. 2. BGer 5A_835/2012 E. 2.1. BGer 5A_892/2010 E. 3.4. BGer 5A_750/2008 E. 2. oder bei Zinsmachenschaften BGE 136 III 247 E. 6. BGer 5A_750/2008 E. 4.4.

Bei positiver Sanierungsprognose: Es kann nicht Zweck der Anfechtungsklage sein, echte Sanierungsbemühungen mit der Gefahr einer späteren Rückgängigmachung von Rechtshandlungen zu belasten. In der Sanierungsphase ist eine Gleichbehandlung der Gläubiger – wie sie dem Anfechtungsrecht zugrunde liegt – per definitionem nicht möglich. ZR 2007 Nr. 22 S. 205

Kommentar 1: Nachdem das Bundesgericht in diesem Fall im Rechtsmittelverfahren zurecht anders entschieden hat (BGE 134 III 452; vgl. sogleich unten), ist diese kantonale Rechtsprechung – zumindest in dieser Form – überholt.

Bei negativer Sanierungsprognose: Es kann dann nicht mehr von einer im Interesse des Schuldners und der Gläubigergesamtheit stehenden Hilfeleistung ausgegangen werden, wenn jeder Rettungsversuch als hoffnungslos angesehen werden muss, weil keine Aussicht auf Erfolg besteht bzw. Sanierungsbemühungen als nicht erfolgsversprechend erscheinen. BGE 137 III 268 E. 4.2.3. BGE 134 III 615 E. 5.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGE 134 III 452 E. 5.3. BGer 5A_64/2008 E. 6.2.2.  KGer BL 810 21 7 E. 7.4.

Überschuldung des Schuldners ist nicht erforderlich: Eine Überschuldung des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Handlung ist nicht erforderlich. KGer BL 810 21 7 E. 7.1.

Kommentar 20: Liegt eine solche jedoch vor, so hat dies – bei entsprechendem Wissen – sowohl auf die Schädigungsabsicht des Schuldners als auch auf deren Erkennbarkeit durch den Begünstigten negative Auswirkungen, indem diese zu bejahen sind.

Beeinträchtigt die Rechtssicherheit: Durch die Anfechtung ist das Vertrauen in die Beständigkeit zivilrechtlich gültig geschlossener Verträge und damit die Rechtssicherheit betroffen BGE 136 III 247 E. 2. BGer 5A_750/2008 E. 2.

Kommentar 2: Diese Feststellung ist zwar richtig, es kommt ihr aber keine praktische Bedeutung zu. Sie bedeutet namentlich weder, dass der Geltungsbereich der Anfechtungstatbestände restriktiv auszulegen ist (vgl. dazu) noch dass in irgend einer Art das Vertrauen der Parteien in die zivilrechtliche Beständigkeit eines Rechtsgeschäfts die Anwendung der paulianischen Anfechtung zurückdrängen würde. Es liegt vielmehr im Wesen der Anfechtung, dass sie das Zivilrecht übersteuert und damit diesem vorgeht, was per se die (zivilrechtlich geprägten) Erwartungen der Parteien tangiert.

Lex generalis: Art. 288 SchKG kommt im Anfechtungsrecht die Funktion einer lex generalis zu. KGer VD Jud/2011/64 E. III.a. KGer VD Jug/2009/44 E. II.a. KGer VD Jug/2009/29 E. V.

Abs. 1

Rechtshandlung des Schuldners

Begriff: Als Rechtshandlung i.S.v. Art. 288 SchKG gilt jede Willensbetätigung mit rechtlicher Wirkung, sei es eine rechtsgeschäftliche oder deliktische Handlung, eine Unterlassung der Geltendmachung eines dem Schuldner zustehenden Rechts oder die Vornahme oder Unterlassung einer prozessualen oder betreibungsrechtlichen Vorkehrung. ZR 2005 Nr. 78 S. 300 Die Handlung ist nicht durch ihre Natur definiert. KGer VD Jug/2009/29 E. V. KGer VD Jug/2009/44 E. II.c/aa.

Verhältnis zu Art. 287 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG: Ist eine Anfechtung gemäss Art. 287 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG nicht möglich, weil die nachträglich bestellte Sicherheit schon ursprünglich vereinbart worden war, so schliesst dies eine Anfechtung nach Art. 288 SchKG nicht aus. BGer 5A_892/2010 E. 4.4. Inwiefern andere Anfechtungstatbestände erfüllt oder nicht erfüllt sind, ist in Bezug auf Art. 288 SchKG belanglos. BGer 5A_892/2010 E. 4.4. Verweis: vgl. zu diesem Entscheid auch unter Allgemeines

Fünfjahresfrist

Vgl. dazu unter Allgemeines

Kein Ausschluss bei Erfüllung gesetzlicher Pflichten

Regel: Die Erfüllung gesetzlicher Pflichten (in casu Bezahlung von Arbeitgeberbeiträgen) schliesst die Anfechtung nicht aus. BGer 5A_316/2016 E. 4.4. KGer VD HC/2016/361 E. 6.2, E. 6.3. (vgl. auch BGE 143 III 395 E. 4.1.)

Kommentar 3: Vgl. aber auch die gegenteilige Sichtweise in Bezug auf die Schädigungsabsicht bei Erfüllung von gesetzlichen Handlungspflichten (in casu Zahlung von Honoraren der Revisionsstelle) BGE 134 III 615 E. 5.2. (Pra 2009 Nr. 44) BGer 5A_64/2008 E. 6.8. Verweis: vgl. dazu unten zur Schädigungsabsicht des Schuldners

Gläubigerschädigung

Begriff: Das objektive Tatbestandsmerkmal liegt in einer Schädigung der anderen Gläubiger durch eine Beeinträchtigung ihrer Exekutionsrechte begründet, indem ihre Befriedigung im Rahmen der General- oder Spezialexekution oder ihre Stellung im Vollstreckungsverfahren wegen der Bevorzugung des einen Gläubigers beeinträchtigt wird. BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGE 134 III 615 E. 4.2. (Pra 2009 Nr. 44)  BGer 5A_233/2022 E. 4.3  BGer 5A_95/2019 E. 3.1., E. 3.4. BGer 5A_95/2019 E. 3.1., E. 3.4. BGer 5A_671/2018 E. 3.4. (Pra 2021 Nr. 8BGer 5A_716/2009 E. 3.3. BGer 5A_116/2009 E. 4. BGer 5A_421/2008 E. 3.3. BGer 5A_469/2007 E. 2. (nicht publiziert in BGE 135 III 276) AppGer TI 14.2021.140 E. 5.4. AppGer TI 12.2018.142 E. 7.1.  Es genügt bereits die Schädigung eines einzigen Gläubigers. OGer GL OG.2016.00058 E. V.5.3.1.

Schmälerung des Haftungssubstrats: Es ist nicht entscheidend, ob die Vermögenswerte im massgebenden Zeitpunkt wirtschaftlich dem Schuldner zuzuordnen waren, sondern ob sie zu seinem pfändbaren Vermögen gehörten und ob daher durch die beanstandete Rechtshandlung das Haftungssubstrat geschmälert wurde. BGer 5C.232/2005 E. 2. (mit Verweis auf BGE 85 III 185 S. 189/190, BGE 74 III 56 E. 7 und BGE 53 III 177)

Bei fehlender Einwirkungen auf das Vermögen des Schuldners: Ausser Betracht fallen Vorkehrungen, die ohne Einwirkung auf das Vermögen des Schuldners bleiben BGer 5C.268/2001 E. 2c/cc oder bei welchen keine Vermögenswerte entzogen werden, die (mittels Anfechtungsklage) der Zwangsvollstreckung zugeführt werden sollen. BGer 5C.68/2002 E. 4e Wenn eine Schädigung der Gläubiger zu verneinen ist, dann entfällt die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts. ZR 2005 Nr. 78 S. 301

Bei Verlusten von Rangrücktrittsgläubigern: Verluste von Rangrücktrittsgläubigern können keine Gläubigerschädigung begründen. AppGer BS ZB.2017.34 E. 2.2.

Kommentar 4: Dies ist so nicht zutreffend. Ob (wegen des rechtsgeschäftlichen) Rangrücktritts diese von der Zuführung von paulianisch entzogenen Vermögenswerten bei der Verteilung profitieren, ist für die Anfechtbarkeit ohne Belang (in casu lag ein Sonderfall vor, da mit einem Veräusserungsgeschäft alle nicht-rangrücktrittsbelasteten Forderungen vollständig bezahlt werden konnten und nur die Rangrücktrittgläubiger leer ausgingen). Zutreffend ist die Aussage dann, wenn der Rangrücktritt einen auf den Insolvenzfall bedingten Forderungsverzicht beinhaltet.

Bei Überweisung eines Geldbetrages/Geldzahlung an den Schuldner: Die Überweisung eines Geldbetrages auf ein Bankkonto ist zunächst ein tatsächlicher Vorgang, der ebenso wenig wie eine Geldzahlung den Nachweis einer Forderung des Kontoinhabers bzw. Empfängers (in casu des Schuldners) gegenüber dem Überweiser oder Zahlenden begründet. Eine Forderung (des Schuldners) setzt vielmehr einen Rechtsgrund voraus, den der Anfechtungskläger nachzuweisen hat. BGer 5C.232/2005 E. 2.3.

Bei Veräusserungsgeschäften, um einem Gläubiger die Verrechnung zu ermöglichen: Unter die Gläubigerschädigung fällt auch ein Rechtsgeschäft, das der Schuldner vor der Konkurseröffnung abgeschlossen hat, um der Gegenpartei die Verrechnung zu ermöglichen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Schuldner dem Gläubiger Waren verkauft, so dass dieser seine ihm gegen den Schuldner zustehende Forderung mit der Kaufpreisschuld verrechnen kann. BGer 5A_102/2012 E. 3.3. HGer SG HG.2008.56 E. 6b (=GVP 2010 Nr. 128)

Beweislast: Die Beweislast in Bezug auf die Gläubigerschädigung trifft grundsätzlich den Anfechtungskläger. BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 137 III 268 E. 3., E. 4. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 134 III 452 E. 2. BGer 5A_233/2022 E. 3.2 BGer 5A_835/2012 E. 2.2. BGer 5A_567/2009 E. 3.1. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.1. BGer 5C.219/2006 E. 3.1. BGer 5C.261/2002 E. 3. Dies gilt bei der Anfechtung eines Veräusserungsgeschäfts auch für den Verkehrswert des veräusserten Vermögensobjektes. BGer 5C.261/2002 E. 3.2.3.

Beweismittel: Der Nachweis des Verkehrswertes wird in der Regel mit Gutachten geführt. Vgl. BGer 5A_663/2015 E. 3.

Vermutung des effektiven Nachteils der anderen Gläubiger: Dieser Nachteil wird dergestalt vermutet (präsumiert), als dass der Inhaber eines Pfändungsverlustscheins und die Insolvenzmasse nicht beweisen müssen, dass die angefochtene Handlung effektiv einen Nachteil für den Pfändungsverlustscheingläubiger oder andere Gläubiger bewirkt hat. Dem Anfechtungsbeklagten steht der Beweis offen, dass die anderen Gläubiger auch bei richtigem Verhalten des Schuldners zum gleichen Verlust gekommen wären, dient doch die Anfechtungsklage nicht der Bestrafung des beklagten Gläubigers, sondern der Wiederherstellung des Zustandes, in welchem sich ohne das angefochtene Geschäft das zur Befriedigung der übrigen Gläubiger dienende Vermögen des Schuldners im Zeitpunkt der Insolvenz befunden hätte. Damit trägt der Anfechtungsbeklagte die entsprechende Beweislast. BGE 137 III 268 E. 4.1. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 135 III 513 E. 3.1. BGE 135 III 276 E. 6.1.1. BGE 135 III 265 E. 2. BGE 134 III 615 E. 4.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGer 5A_378/2016 E. 3.3.3. BGer 5A_313/2012 E. 5.1.1. BGer 5A_102/2012 E. 2.1. BGer 5A_892/2010 E. 2. BGer 5A_567/2009 E. 3.1. BGer 5A_116/2009 E. 4. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.1. BGer 5A_420/2008 E. 2. BGer 5A_386/2008 E. 2. BGer 5A_421/2008 E. 3.3. BGer 5A_82/2008 E. 4. CdJ GE ACJC/47/2024 E. 3.1.2   CdJ GE ACJC/946/2023 E. 3.1.1  – Gelingt ihm dieser Beweis, ist die Anfechtungsklage abzuweisen. BGE 134 III 615 E. 4.1. (mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 3, BGE 85 III 185 E. 2a) BGer 5A_421/2008 E. 3.3. KGer SZ ZK1 2020 4 E. 4.1.b KGer VD HC/2019/619 E. 3.2.3.2. PKG 2001 Nr. 5 S. 43 KGer VD HC/2016/361 E. 3.4.

Rechtmässiges Alternativverhalten: An einer Gläubigerschädigung fehlt es grundsätzlich, wenn die (anderen) Gläubiger auch bei richtigem Verhalten des Schuldners den gleichen Verlust erlitten hätten. BGE 136 III 247 E. 3. BGer 5A_233/2022 E. 4.3 BGer 5A_313/2012 E. 5.1.1. KGer VD Jug/2012/259 E. III.a/aa Damit eine Zahlung eine Gläubigerschädigung darstellt, muss bewiesen werden, dass sich die Gelder, welche an den Begünstigen gingen, sich in der Masse vorfinden würden, so dass sie an die Gläubiger verteilt werden könnten. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. (mit Verweis auf BGE 78 III 83 E. 1) KGer VD Jug/2011/259 E. III.a/aa KGer VD Jud/2010/24 E. III.b/iii. – Mit der Behauptung des Anfechtungsgegners, der Schuldner hätte die bezahlte Summe einfach anderweitig ausgegeben, vermag der Anfechtungsgegner den ihm obliegenden Nachweis, dass die Gläubiger auch ohne die angefochtene Zahlung in gleicher Weise zu Verlust gekommen wären, nicht zu erbringen. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.1.2.

Kommentar 5: Den erstgenannten Ausführungen ist zu widersprechen. Der Anfechtungskläger muss nicht nachweisen, dass sich Geld, wenn es nicht in paulianisch anfechtbarer Weise verwendet worden wäre, bei Insolvenzeröffnung noch beim Schuldner bzw. in der Masse befinden würde, damit es an die Gläubiger versteilt werden kann. Es liegt vielmehr am Anfechtungsgegner darzutun, dass die Gläubigerschädigung ohnehin eingetreten wäre. Dass der Schuldner das Geld sonst anders ausgegeben hätte, ist deshalb per se kein tauglicher Einwand (BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.1.2.).

Grundsatz: Keine Gläubigerschädigung beim Austausch von gleichwertigen Leistungen

Austausch von gleichwertiger Leistungen/Grundsatz: Beim Austausch von gleichwertigen Leistungen liegt in aller Regel keine Beeinträchtigung der Gläubigerrechte vor. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGE 134 III 615 E. 4.2.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGE 134 III 452 E. 3.1. BGer 5A_233/2022 E. 4.3  BGer 5A_95/2019 E. 3.1. BGer 5A_64/2008 E. 5.3. BGer 5C.261/2002 E. 3.1.1. CdJ GE ACJC/946/2023 E. 3.1.1  KGer VD Jug/2011/64 E. III.b/iii

Gegenleistung/Synallagma: Ein Austausch impliziert, dass die Gegenleistung des Anfechtungsgegners das (echte) Synallagma zur (angefochtenen) Handlung des Schuldners darstellt. Vgl. BGE 137 III 268 E. 4.2.3. BGE 136 III 247 E. 5., E. 7. BGE 134 III 452 E. 3.1. BGer 5A_750/2008 E. 4.

Gegenleistung/Synallagma/Darlehenszins bei Weiterüberlassen der Werte: Der laufende Darlehenszins stellt bei Aufrechterhaltung der Wertüberlassung die Gegenleistung für die Geldhingabe dar. Der regelmässige (bzw. routinemässige und automatische) sowie termingerechte Zinsendienst stellt bei Weiterführung des Kredits einen permanenten Ausgleich zwischen Wert und Gegenwert dar. Solche Zinszahlungen sind nicht anfechtbar. BGE 136 III 247 E. 5., E. 7. BGer 5A_892/2010 E. 3.4. BGer 5A_750/2008 E. 4. BGer 5A358/2008_5A_473/2009 E. 2.1.2.

Gegenleistung/Synallagma/Darlehenszins am Ende der Laufzeit:Wenn dagegen Darlehenszins am Ende der Laufzeit als Einmalzins zu entrichten ist oder wo längst fällige Zinsen zusammen mit der Rückzahlung des Darlehenskapitals geleistet werden, so liegt kein gleichwertiger Leistungsaustausch vor, so dass die Anfechtung nicht ausgeschlossen ist. BGE 136 III 247 E. 6. BGer 5A_116/2009 E. 5. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.1.2.

Gegenleistung/Synallagma/Darlehenskapital: Die Darlehensrückzahlung (des Kapitals) stellt nicht die (gleichwertige bzw. synallagmatische) Gegenleistung für die Hingabe des Darlehens, sondern die Erfüllung der Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens dar, weshalb eine Gläubigerschädigung vorliegt. BGE 137 III 268 E. 4.1. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 134 III 452 E. 3.1. BGer 5A_116/2009 E. 5. BGer 6B_917/2009 E. 2.5.1. BGer 5A_386/2008 E. 3. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.1.1.

Bei Zahlungen von Forderungen/im Allgemeinen: Die Zahlung von – auch fälligen BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGer 5A_716/2009 E. 3.4. OGer ZH LB070108 E. II.4.c – Forderungen (sofern nicht vorgängig zur Erbringung der Gegenleistung oder Zug um Zug; vgl. zur zeitlichen Abfolge unten) stellt eine Gläubigerschädigung dar BGE 137 III 268 E. 4.1. BGE 136 III 247 E. 3., E. 6. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGE 135 III 265 E. 4. BGE 134 III 615 E. 4.3. (Pra 2009 Nr. 44) (fast alle mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 4.) BGer 5A_671/2018 E. 3.4.2. (Pra 2021 Nr. 8) BGer 5A_316/2016 E. 3. BGer 5A_892/2010 / 5A_900/2010 E. 4.4. BGer 5A_716/2009 E. 3.4. BGer 5A_567/2009 E. 3.3. BGer 5A_116/2009 E. 5. BGer 5A_750/2008 E. 3. BGer 5A_358/2008 / 5A_473/2009 E. 2.1.2. BGer 5A_64/2008 E. 5.3. Das Gesagte gilt namentlich, wenn sich der Schuldner in einer schwierigen finanziellen Situation befindet. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. (mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 4) BGer 5A_116/2009 E. 5. KGer VD HC/2019/619 E. 3.2.3.2. KGer VD Jug/2012/259 E. III.a/aa KGer VD Jug/2009/44 E. I.d. Bei Bezahlung von Forderungen einzelner Gläubiger erleiden die anderen Gläubiger einen Nachteil, da die letzteren sich mit einer Dividende begnügen müssen, während die Forderung des begünstigen Gläubigers vollständig bezahlt wird. BGE 134 III 615 E. 4.3. (Pra 2009 Nr. 44) BGer 5A_567/2009 E. 3.3. 5A_358/2008 / 5A_473/2009 E. 2.1.2. BGer 5A_64/2008 E. 5.3.

Bei Zahlungen von Forderungen mit Privileg oder Vorrecht: Die Bezahlung von Forderungen stellt dann keine Gläubigerschädigung dar, wenn dem Gläubiger ein Konkursprivileg oder ein (werthaltiges) dingliches Vorrecht zukommt BGE 134 III 452 E. 3.1., E. 3.3. OGer ZH LN100062 E. II.2.2a oder ihm vorbestehend eine Verrechnungsmöglichkeit zustand, wobei es nicht von Bedeutung ist, ob er davon auch Gebrauch gemacht hätte. OGer ZH LN100062 E. II.2.2a

Bei Zahlung von Dienstleistungen: Trotz Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung liegt bei Bezahlung von Forderungen für bereits erbrachte Dienstleistungen eine Gläubigerschädigung vor. BGE 137 III 268 E. 4.1. BGE 134 III 615 E. 4.3. (Pra 2009 Nr. 44) OGer ZH LB070108 E. II.4.c Verweis: zur Frage der zeitlichen Abfolge vgl. unten Es ist nicht mehr beachtlich, ob die Sanierung des Schuldners im Zeitpunkt der Leistungserbringung des Dienstleisters sinnvoll gewesen ist, wenn im Zeitpunkt der Zahlung davon auszugehen ist, dass sie letztlich nicht zum Erfolg geführt hat. OGer ZH LB070108 E. II.4.c

Relevanz der fehlenden Verwertbarkeit bei Dienstleistungen: Nur bei Gleichwertigkeit von verwertbaren Aktiven fehlt es an einer Gläubigerschädigung. BGer 5A_82/2008 E. 4. (mit Verweis auf BGE 65 III 142 E. 5, BGE 79 III 174) Auf Dienstleistungen lässt sich die Regel, dass der Austausch von gleichwertigen Aktiven keine Gläubigerschädigung bewirkt, nicht anwenden. Denn als Gegenleistung für die Honorarforderung des Dienstleisters erwirbt der Schuldner regelmässig keinen verwertbaren Vermögenswert, der in der Bilanz als Aktivum seinen Niederschlag finden würde. ZR 2005 Nr. 78 S. 301 und 305 Frage offengelassen: Ob die Dienstleistung verwertbar gewesen wäre und inwiefern dieses Kriterium im Zusammenhang mit Dienstleistungen einschlägig ist, kann deshalb (wie bereits durch das Handelsgericht) weiterhin offengelassen werden. BGE 137 III 268 E. 4.1.

Kommentar 6: Dem Umstand, ob der Schuldner eine bilanzierbare Gegenleistung erhält, was bei Dienstleistungen in aller Regel nicht der Fall ist, ist nicht massgeblich. Es gibt keine sachlichen Gründe, Sach- und Dienstleistungen unterschiedlich zu behandeln (RJN 2008 S. 390, wo allerdings der Umstand der nachträglichen Zahlung nicht berücksichtigt wurde). Damit fehlt es an einer Gläubigerschädigung, wenn die Dienstleistung gleichwertig ist und der Schuldner entweder vor- oder Zug um Zug leistet.

Veräusserungsgeschäft/massgeblicher Wert: Bei einem Veräusserungsgeschäft ist nicht der Fortführungswert, sondern der Verkehrswert massgebend, um die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zu beurteilen. HGer ZH HG120129 E. 6.2.4.c Dies ist der Wert, der sich bei der Verwertung an einen Dritten nach der Marktlage („mutmasslich“ BGer 5C.261/2002 E. 3.1.3., E. 3.3.2.) erzielen lässt, sei es bei einer öffentlichen Steigerung oder sei es mittels Freihandverkauf. KGer VD Jug/2012/259 E. III.a/aa Massgeblich ist der höhere Wert. BGer 5A_313/2012 E. 5.1.2. BGer 5C.261/2002 E. 3.1.3., E. 3.3.2. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass der Vermögenswert, wenn die anfechtbare Handlung nicht erfolgt wäre, in die Konkursmasse gefallen und entsprechend verwertet worden wäre. BGer 5C.261/2002 E. 3.1.3.

Veräusserungen im Rahmen einer Zwangsvollstreckung: Bei einer Verwertung im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens (Konkurs, Pfändung oder Pfandverwertung) kann nicht ohne weiteres mit „Marktpreisen“ gerechnet werden. Es ist gerichtsnotorisch, dass es für zwangsvollstreckungsrechtlich zu versilbernde Forderungen aller Art, Schuldbriefe oder nicht kotierte Akten keinen grossen Interessenkreis gibt. OGer ZH PS140018 E. 2.3.

Schätzwert als Verkehrswert: Wurden die Vermögenswerte im Rahmen eines Insolvenzverfahrens geschätzt und inventarisiert, so gilt der Schätzwert als Verkehrswert. BGer 5C.261/2002 E. 3.1.3., E. 3.3.2. – Der Umstand, dass die Veräusserung eines Vermögenswertes [in casu eines Grundstücks] zum Schätzwert [unklar ist auf welche Schätzung Bezug genommen wird] erfolgte, bedeutet jedoch nicht, dass damit von vornherein keine Schädigung vorliegt, wenn der Vermögenswert zum blossen Zweck der Tilgung einer Forderung hingegeben wird. BGer 6B_917/2009 E. 2.5.1.

Kommentar 17: In Bezug auf den Schätzwert eines Grundstücks in der Spezialexekution mag dies zutreffen, da dort der Schätzwert in verschiedener Hinsicht von Belang ist (Art. 126 f., Art. 142a, Art. 143b Abs. 1 SchKG), weshalb er objektiv und verlässlich zu erfolgen hat. Bei anderen Objekten dürfe dies jedoch aus praktischer Sicht weit weniger der Fall sein.

Relevanz von Schätzwerten: Jahre zurückliegende amtliche Schätzwerte bzw. durch einen Schätzfachmann ermittelte Werte eines Grundstücks können nicht einfach unbesehen der konkreten Marktverhältnisse dem effektiven Veräusserungspreis gleichgestellt werden. Entsprechende Abweichungen bedeuten deshalb nicht von vornherein, dass das betreffende Grundstück unter Preis veräussert wurde. Dies gilt umso mehr, wenn der Veräusserung intensive Bemühungen vorausgegangen sind, das Grundstück auf dem Markt zu veräussern. KGer GR ZF 06 38 E. 3

Schätzfehler: Schätzungen unterliegen einem Schätzfehler. Im Sachverhalt, welcher BGer 6B_824/2001 E. 3.1.2. zugrunde lag, ging der Experte von einem Schätzfehler bei Grundstücken von 10 bis 11% aus, welchen er in Abzug brachte.

Bewertungsmethode/Tat- und Rechtsfrage: Bei der Frage nach dem Verhältnis der beiden Leistungen handelt es sich um die Feststellung des wirtschaftlichen Wertverhältnisses (des Verkehrswertes) zweier Vermögensstände, also um eine Schätzungsfrage. Bei Bewertungsfragen bestimmt das Bundesrecht, nach welchen Rechtsgrundsätzen die Bewertung vorzunehmen ist (Rechtsfrage), wogegen die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Wertermittlung eine Tatfrage ist BGE 133 III 416 E. 6.3.3. (in Bezug auf Art. 630 ZGB). Rechtsfrage ist beispielsweise, ob der richtige Begriff des Verkehrswertes oder eine korrekte Bewertungsmethode angewendet worden ist. BGE 132 III 489 E. 2.3. (in Bezug auf Art. 286 SchKG) BGer 5A_555/2011 E. 2.2.3. (in Bezug auf Art. 286 SchKG) BGer 5A_557/2008 E. 3.2.2. (in Bezug auf Art. 286 SchKG)

Bewertung von Unternehmungen: Die Praxis kennt für Unternehmungen eine ganze Reihe von Bewertungsmethoden (Substanz-, Ertrags- oder Mittelwertmethode). Nach welcher Methode der Experte eine Bewertung vornimmt, hängt nicht zuletzt von der ihm vorgelegten Fragestellung ab. Anerkannt ist in der Unternehmensbewertung, dass der Verkäufer jeden ihm gebotenen Preis am Substanzwert misst. BGer 5A_557/2008 E. 3.2.3. (in Bezug auf Art. 286 SchKG)

Bewertung von Grundstücken: Vom Bundesgericht primär angewandt wird die Vergleichs- oder statistische Methode (auch Preisvergleichsmethode genannt), die primär auf die tatsächlich bezahlten Preise abstellt. Diese zulässige Methode führt dann zu richtigen Resultaten, wenn Vergleichspreise in genügender Anzahl für Objekte ähnlicher Beschaffenheit zur Verfügung stehen. BGE 133 III 416 E. 6.3.3. (in Bezug auf Art. 630 ZGB)

Berwertung von landwirtschaftlichen Grundstücken: Auch bei landwirtschaftlichen Grundstücken ist der objektive Marktwert und nicht der Ertragswert massgeblich, da bei der Zwangsverwertung die durch Angebote erfolgte Preisbildung frei ist (Art. 63 Abs. 2 BGBB). BGer 5A_19/2014 E. 4.3. BGer 5A_391/2012 E. 5. (in Bezug auf Art. 286 SchKG) – Soweit bei einem Verkauf von landwirtschaftlichen Grundstücken oder Gewerben gesetzliche Vorkaufsrechte bestehen (Art. 42 ff. BGBB; diese können auch in der Zwangsverwertung ausgeübt werden; Art. 681 Abs. 1 ZGB; Art. 60a Abs. 1 VZG), gelten spezialgesetzliche Preisbestimmungen (Art. 44 und Art. 52 BGBB). Die gleichen Bedingungen gelten auch bei einem direkten Verkauf an vorkaufsberechtige Personen. Soweit eine Übertragung an einen selbstbewirtschaftenden Nachkommen zum Preis gemäss den Regelungen des BGBB erfolgt, halten sich Leistung und Gegenleistung die Waage BGer 5A_391/2012 E. 5. (in Bezug auf Art. 286 SchKG)

Wert von Forderungen: Bei der Abtretung einer Forderung zum Nominalwert (durch den Vollstreckungsschuldner) oder bei einer Schuldübernahme (eines Dritten) besteht nur eine Gleichwertigkeit der Leistungen, wenn die Gegenpartei dem Vollstreckungsschuldner in Bezug auf die ihm zukommende Forderung die Einbringlichkeit garantiert. BGer 6B_917/2009 E. 2.5.2. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.1.1. Denn wenn der Schuldner anstelle der von ihm veräusserten Vermögenswerte bloss eine Forderung erwirbt, tauscht er für seine Leistung keine Gegenleistung ein, die eine Schädigung der Gläubiger von vornherein ausschliessen würde. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGE 134 III 615 E. 4.2.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGer 5A_353/2011 E. 5.2. (in Bezug auf Art. 286 SchKG) BGer 6B_917/2009 E. 2.5.2. BGer 5A_420/2008 E. 2. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.1.1. (alle mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 4.) KGer VD Jug/2011/64 E. III.b/iii

Bei Genossenschaftsanteilen: Die Ausgestaltung der Statuten ist entscheidend für die Wertbestimmung. BGE 135 III 513 E. 3.4.

Kommentar 7: zum gleichen Verkehrswertbegriff i.S.v. Art. 286 SchKG vgl. Art. 286. Dass, gemäss BGer 5A_391/2012 E. 5 in Bezug auf Art. 286 SchKG „ein anderer Vergleichswert“ massgeblich ist als in Bezug auf Art. 288 SchKG, ist insofern zutreffend, weil bei der Schenkungsanfechtung nicht jeder Wertunterschied genügt, sondern ein Missverhältnis (d.h. eine massgebliche Abweichung) bestehen muss. Dies ändert aber nichts daran, dass für den „richtigen Preis“ (als Vergleichswert) der Verkehrswert zu berechnen ist und dafür dieselben Regeln zur Anwendung gelangen wie bei der Absichtsanfechtung – bei Art. 286 SchKG ist dann davon ausgehend festzustellen, ob eine massgebliche Abweichung i.S. eines Missverhältnisses besteht. Vgl. auch HGer ZH HG120129 E. 6.2.4.g

Berücksichtigung von Schulden: Der Verkehrswert ist zwar ein Bruttobetrag, indem Schulden (wie Grundpfandschulden) vorerst ausser Acht zu lassen sind. Sie sind in einem zweiten Schritt aber in Abzug zu bringen. BGer 5A_19/2014 E. 4.3. BGer 5A_313/2012 E. 5.1.2. BGer 5C.176/2003 E. 3.1. (nicht abgeduckt in BGE 130 III 235) PKG 2001 Nr. 5 S. 50 – Der Umstand allein, dass der Kaufpreis tiefer liegt als die hypothekarische Belastung genügt nicht, um eine Schädigung nachzuweisen. BGer 5A_143/2008 E. 2.4. Ist der Verkehrswert eines Grundstücks nicht höher als die Grundpfandschuld, so stellt die Veräusserung des Grundstücks gegen Übernahme der Grundpfandschuld keine Schädigung dar. KGer VD HC/2016/361 E. 3.4. (mit Verweis auf BGE 38 II 239 E. 4)

Ausnahmen vom Grundsatz: Gläubigerschädigung trotz Gleichwertigkeit der Leistungen

Nachträgliche Leistung durch den Schuldner: Die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung schliesst die Anfechtung nur aus, wenn entweder der Schuldner im Voraus oder Zug um Zug leistet, nicht aber wenn er erst nachträglich leistet. BGE 135 III 276 E. 6.3.1., E. 6.3.2. BGE 135 III 265 E. 4. BGer 5A_750/2008 E. 3. HGer ZH HG100052 E. 4.7.2. OGer ZH LB070108 E. II.4.c

Verfügung über die letzten Aktiven: Der Austausch von gleichwertigen Leistungen ist dann anfechtbar, wenn der Schuldner den Zweck verfolgte, über seine letzten Aktiven zum Schaden seiner Gläubiger zu verfügen und sein Geschäftspartner dies erkannt hat oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGE 134 III 615 E. 4.2.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGE 134 III 452 E. 3.1. BGE 130 III 235 E. 2.1.2. BGer 5A_233/2022 E. 4.3  BGer 5A_95/2019 E. 3.1. BGer 6B_886/2018 E. 2.4.1. BGer 5A_19/2014 E. 4. BGer 5A_313/2012 E. 5.1.2. BGer 5A_892/2010 E. 2. BGer 5A_64/2008 E. 5.3. BGer 5C.261/2002 E. 3.1.1. (meist mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 4 und BGE 53 III 78). CdJ GE ACJC/946/2023 E. 3.1.1  OGer GL OG.2016.00058 E. V.5.3.3. – Wenn der Schuldner schon die Absicht hatte, die Gegenleistung des Anfechtungsgegners zum Nachteil seiner Gläubiger zu verwenden, besteht ein Kausalzusammenhang zwischen der Handlung und der Schädigung der Gläubiger. BGE 135 III 276 E. 6.1.2. BGE 134 III 615 E. 4.2.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGer 5A_233/2022 E. 4.3 BGer 6B_886/2018 E. 2.4.1. KGer VD Jug/2012/259 E. III.a/aa  Zielte das Austauschgeschäft von vornherein und für den Vertragspartner des Schuldners erkennbar auf eine Gläubigerschädigung ab, kommt es somit nicht darauf an, dass der Austausch an sich noch keine Verminderung des späteren Vollstreckungssubstrates bedeutete. Denn die Anfechtungsklage kann nach Art. 290 SchKG nicht nur gegen diejenigen Personen gerichtet werden, welche in anfechtbarer Weise begünstigt worden sind, sondern auch gegen solche Personen, welche, ohne selber einen unrechtmässigen Vorteil davonzutragen, an der anfechtbaren Begünstigung anderer Personen mitgewirkt haben.  BGer 5A_233/2022 E. 4.3

Kommentar 8: Diese Darstellung ist verkürzt und erweckt einen falschen Eindruck. Zum einen ist zusätzlich erforderlich, dass die Absicht des Schuldners für den Geschäftspartner erkennbar war (vgl. BGE 79 III 175 [Erkennbarkeit verneint in Bezug auf die Mittelverwendung aus einem Verkaufsgeschäft, um zu flüchten]). Zum anderen geht es um eine indirekte Schädigung (vgl. BGE 99 III 27 E. 4., BGE 53 III 79 „weitere Handlung des Schuldners“), indem in einer Kette von Rechtsgeschäften die Gegenpartei des ersten Rechtsgeschäfts ins Recht gefasst werden kann (obschon diesbezüglich ein Austausch gleichwertiger Gegenleistungen vorlag), weil die nachteilige Verwendung seiner Gegenleistung im nachfolgenden Rechtsgeschäft des Schuldners (mit einen Dritten) für ihn (die Gegenpartei des ersten Rechtsgeschäfts) erkennbar war (BGE 53 III 79 spricht sogar von einem „bewussten Vorschubleisten“). Damit geht es letztlich um die Frage des Kausalzusammenhangs und zwar zwischen der Gegenleistung des ersten Vertragspartners (meist eine Zahlung oder Kreditgewährung) und deren nachfolgender Verwendung durch den Schuldner bei einem anschliessenden Rechtsgeschäft (BGE 74 III 48 E. 3., BGE 53 III 79). Zu Ende gedacht geht es an sich gar nicht darum, dass der Schuldner über „seine letzten Aktiven“ verfügt hat (soweit ersichtlich geht diese Formulierung auf BGE 53 III 79 zurück, wo es um die Verwendung eines geliehenen Geldbetrages ging; gleiches gilt für BGE 74 III 48 E. 3., mit welchem Entscheid eine Praxisänderung vorgenommen wurde, sowie BGE 99 III 27 E. 5); es können irgendwelche Aktiven sein.
Kommentar 9: Es gilt zwei Konstellationen auseinanderzuhalten: Einerseits kann in gewissen Konstellationen die Gegenpartei des ersten Rechtsgeschäfts ins Recht gefasst werden (obschon gleichwertige Leistungen ausgetauscht wurden), wenn diese die darauffolgende nachteilige Mittelverwendung (durch ein zweites Geschäft in der Kette) voraussah oder voraussehen musste (vgl. unmittelbar obenstehend; einheitliches Rechtsgeschäft). Andererseits kann gestützt auf Art. 290 SchKG ein Rechtsnachfolger (d.h. die Gegenpartei des zweiten Rechtsgeschäftes) ins Recht gefasst werden, namentlich bei sog. Kettengeschäften (vgl. dazu Kettengeschäfte).

Anfechtung von Vorschusszahlungen

Anfechtbarkeit: Vorschusszahlungen sind nach Art. 286 ff. SchKG anfechtbar. BVGer A-5172/2014 E. 9.3.10. (mit Verweis auf BVGer B-5644/2012 E. 3.7.1. und 3.7.4.)

Kommentar 18: Vorschusszahlungen stellen keine Gläubigerschädigung dar. Die vom Bundesverwaltungsgericht angegebene Quelle BVGer B-5644/2012 E. 3.7.1. und 3.7.4. kann nicht als Stütze der vom Gericht gemachten Aussage dienen. Die Aussage erfolgte sodann im Konjunktiv und demzufolge eher obiter. – Vorschüsse erfolgen per Definition vor Leistungserbringung, weshalb gerade keine nachträgliche Zahlung vorliegt. Dass Vorschüsse später nur mit Leistungen verrechnet werden dürften, welche nach Zahlung des Vorschusses erbracht worden sind, versteht sich von selbst. Andernfalls könnte die Verrechnung gemäss Art. 214 SchKG angefochten werden.

Sonderfall Sanierungsdarlehen

Anfechtungsresistenz der Rückzahlung von Sanierungsdarlehen: Die Aufnahme und Rückzahlung eines Darlehens wird (unter bestimmten Voraussetzungen) als Einheit betrachtet BGE 134 III 452 E. 5.3. BGer 5A_116/2009 E. 6.1. BGer 5A_386/2008 E. 4.1. (die beiden letzten Entscheide mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 5). – Liegt die Abwicklung des ganzen Geschäfts, umfassen die Gewährung und die Rückzahlung des Darlehens, auch im Interesse der anderen Gläubiger, so darf in einem solchen Fall die Frage nach einer Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit nicht isoliert, bezogen bloss auf die Rückzahlung, gestellt werden. BGE 134 III 452 E. 5.3. – Das Sanierungsdarlehen wird damit als anfechtungsresistentes behandelt. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8); die Anfechtung ist ausgeschlossen BGer 5A_671/2018 E. 4.1.2. (Pra 2021 Nr. 8); das Sanierungsdarlehen ist von der Anfechtung freigestellt. BGer 5A_671/2018 E. 4.3.1., E. 4.3.2. (Pra 2021 Nr. 8)

Kommentar: Vgl. unten Kommentar 10g

Sanierungsbegriff: Es ist ein anfechtungsrechtlich relevanter (spezifischer) Sanierungsbegriff massgeblich. Dieser ist nicht mit dem bilanzrechtlichen Sanierungsbegriff (Art. 725 aOR) gleichzusetzen. BGE 137 III 268 E. 4.2.2. BGer 5A_671/2018 E. 4.1.1. (Pra 2021 Nr. 8) In der Wirtschaft wird die „Unternehmenssanierung“ als Sammelbegriff für alle Massnahmen zur „Wiederherstellung existenzerhaltender Gewinne“ verwendet. BGE 137 III 268 E. 2.3. BGer 5A_671/2018 E. 4.1.1. (Pra 2021 Nr. 8)

Optik der Gläubiger massgeblich: Für die Frage des anfechtungsrechtlichen Sanierungsbegriffs, d.h. ob ein Darlehen der „Sanierung“ dient und anfechtbar ist, ist auf die Optik der Gläubiger abzustellen. BGer 5A_671/2018 E. 4.1.2., E. 4.1.3. (Pra 2021 Nr. 8) Der Grund für die besondere Behandlung der Gewährung und Rückzahlung des Darlehens liegt darin, dass es nicht nur im Interesse des Darlehensgeber, sondern auch im Interesse aller übriger Gläubiger liegt. BGE 134 III 452 E. 5.3. und E. 5.5. BGer 5A_671/2018 E. 4.1.2. (Pra 2021 Nr. 8)

Vollständige Gläubigerbefriedigung als Ziel: Der erforderliche Sanierungskontext ist gegeben, wenn mit der beabsichtigen Sanierung (Restrukturierung) eine vollständige Befriedigung aller Gläubiger bezweckt wird und damit der Konkurs oder ein Nachlassverfahren abgewendet werden soll. Dies kann auch den Verkauf des gesamten Unternehmens als wirtschaftliche Einheit beinhalten. BGer 5A_671/2018 E. 4.1.2. (Pra 2021 Nr. 8) Aus Gläubigerwarte ist es grundsätzlich einerlei, ob die bisherige Gesellschaft in der Folge weiterbesteht oder untergeht, solange die Gläubiger voll befriedigt werden und der Konkurs abgewendet wird. BGer 5A_671/2018 E. 4.1.3. (Pra 2021 Nr. 8)

Realisierungswahrscheinlichkeit: Damit ein Sanierungsdarlehen angenommen werden kann, müssen berechtigte, die Wahrscheinlichkeit einer günstigen Prognose hinsichtlich der Vermögensentwicklung des Schuldners eindeutig rechtfertigende Hoffnungen gegeben sein. BGE 134 III 452 E. 5.3. Wenn die Sanierungsbemühungen im Ergebnis als erfolgversprechend erscheinen, weil die Chancen grösser als das Konkursrisiko sind, dann genügt diese Realisierungschance. BGer 5A_671/2018 E. 4.5. (Pra 2021 Nr. 8)

Kommentar: Vgl. unten Kommentar 10b

Sanierungsdarlehen: Damit ein besonderer Behandlung würdiges Sanierungsdarlehen angenommen werden kann, müssen berechtigte, die Wahrscheinlichkeit einer günstigen Prognose hinsichtlich der Vermögensentwicklung des Schuldners eindeutig rechtfertigende Hoffnungen gegeben sein. Ist diese Voraussetzung erfüllt, liegt die Abwicklung des ganzen Geschäfts, umfassend die Gewährung und die Rückzahlung des Darlehens, nicht nur im Interesse des Darlehensgebers, sondern im Interesse auch aller anderen Gläubiger des Schuldners. BGE 134 III 452 E. 5.3. Die zur Verfügung gestellten Geldmittel müssen zum besonderen Zweck der Sanierung gewährt worden sein. Es bedarf eines Sanierungswillens der Vertragsparteien und einer Zweckvereinbarung. BGer 5A_116/2009 E. 6.1. (mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 5) BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.1. BGer 5A_386/2008 E. 4.1. (mit Verweis auf BGE 99 III 27 E. 5) Nur auf diese Weise kann die Schutzwürdigkeit der Interessen des Darlehensgebers und der übrigen Gläubiger in ein richtiges Verhältnis gebracht werden. BGE 134 III 452 E. 5.3., E. 5.5. AppGer BS ZB.2017.34 E. 4.

Besondere Voraussetzungen: Es müssen besondere Voraussetzungen erfüllt sein. BGE 134 III 452 E. 5.3. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8) Der Schuldner, der sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, muss sich (1) um die Sanierung bemühen, (2) die Sanierungsbemühungen müssen erfolgversprechend erscheinen und (3) das Darlehen muss zum Zweck der Sanierung und damit im Interesse der übrigen Gläubiger gewährt werden. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8) (mit Verweis auf BGE 134 III 452 E. 5.5.)

Kommentar: Vgl. unten Kommentar 10b

Kantonales Präjudiz: Ausführlich zum Sanierungsdarlehen und zur Bejahung eines solchen und damit zur Verneinung einer Anfechtung (im Sonderfall, dass alle nicht-rangrücktrittsbelastenten Forderungen vollständig bezahlt wurden und nur die Rangrücktrittsgläubiger leer ausgingen) AppGer BS ZB.2017.34 E. 4.

Sonderleistungen des Darlehensgebers: Damit ein Sanierungsdarlehen vorliegt, muss der Darlehensgeber Sonderleistungen erbringen. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2., E. 4.3.1. E. 4.3.2. (Pra 2021 Nr. 8) Diese müssen in der konkreten Situation beurteilt werden. BGer 5A_671/2018 E. 4.3.1. (Pra 2021 Nr. 8) Die Würdigung von Art und Gewicht der notwendigen Sonderleistung ist von der konkreten Einzelsituation abhängig, weshalb den kantonalen Instanzen ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht. BGer 5A_671/2018 E. 4.3.2 (Pra 2021 Nr. 8)

Kommentar: Vgl. unten Kommentar 10c

Umwandlung/Verlängerung eines bestehenden Kredits: Auch die Verlängerung eines früher gewährten Darlehens kann zur Sanierung beitragen und als Sanierungsdarlehen gelten, sofern der Sanierungswille (z.B. durch eine Sanierungsvereinbarung) zum Ausdruck kommt und sich das Verhalten (wie durch Sonderleistungen, eigentliches Entgegenkommen, direkte Unterstützung) von gewöhnlichen Kreditgebern unterscheidet. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8) (mit Verweis auf BGE 134 III 452 E. 6.1, E. 6.2 und BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.1.) – Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch ein vorbestehendes Darlehen in ein Sanierungsdarlehen umgewandelt werden kann, namentlich durch Verlängerung eines auslaufenden Kredites. BGE 134 III 452 E. 6.1. BGer 5A_116/2009 E. 6.1. BGer 5A_386/2008 E. 4.1. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.1. AppGer BS ZB.2017.34 E. 4., E. 5.3.7. Auch in diesem Fall müsste aber ein damit verbundener subjektiver Sanierungswille der Vertragsparteien vorliegen. BGer 5A_116/2009 E. 6.1. BGer 5A_386/2008 E. 4.1.in casu wurde eine Sonderleistung bejaht bei einer Verlängerung des Stillhalteabkommens und der Kreditlimiten der Banken (trotz der Rückführung der Kredite von ca. 90% von CHF 3 Mio.) innerhalb von zwei Monaten und der Erklärung eines Rangrückritts für eine neu gewährte Kreditlimite von 0.25 Mio. (was ca. 10% des Kredits ausmachte). BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2., E. 4.3.2. (Pra 2021 Nr. 8)

Nicht-Fälligstellung bzw. Verlängerung eines Darlehens: Die blosse Nicht-Fälligstellung oder Verlängerung eines vorbestehenden Darlehens muss (als bloss indirekter Sanierungsbeitrag) von der privilegierten (von der Anfechtung freigestellten) Sanierungsdarlehen abgegrenzt werden. BGer 5A_671/2018 E. 4.3.1.

Verortung bei den einzelnen Anfechtungsvoraussetzungen: Das Vorliegen eines Sanierungsdarlehens wird zuweilen unter dem Zweckgedanken der Pauliana BGE 137 III 268 E. 4.2.3. BGer 5A_116/2009 E. 6.1. zuweilen unter der Schädigungsabsicht des Schuldners BGer 5A_671/2018 E. 3. und E. 4. (Pra 2021 Nr. 8) BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.1. BGer 5A_386/2008 E. 4.1. und manchmal unter beiden subjektiven Elementen geprüft. BGE 134 III 452 E. 5.3, E. 5.5. AppGer BS ZB.2017.34 E. 4., E. 5.3.7.

Kommentar 10: Das Bundesgericht hat bisher in einem einzigen Fall ein Sanierungsdarlehen bejaht (BGer 5A_671/2018; Pra 2021 Nr. 8); ansonsten wurde ein solches immer verneint.

a. In der Sache liegt dem Sanierungsdarlehen die an sich überzeugende Idee zugrunde, dass eine realistische Sanierung, bei welcher alle Gläubiger befriedigt werden können, auch im Interesse dieser Gläubiger liegt. Damit sollen Sanierungen bzw. realistische Sanierungen gefördert werden, was von der Stossrichtung richtig und begrüssenswert ist.

Problematisch wird es aber dann, wenn sich im Zeitablauf die Sanierungschancen (massiv) verschlechtern, und in dieser zweiten Phase trotzdem noch bis zum Konkurs Leistungen an den Kreditgeber gemacht werden, welche der Anfechtung entzogen werden. M.E. lässt sich die an sich gute Idee nicht – zumal nicht ohne gesetzliche Grundlage – konzeptionell überzeugend umsetzen. Gerade deshalb ist die Sanierung in einem geregelten und (vom Sachwalter) geführten Verfahren, nämlich der Nachlassstundung abzuwickeln (vgl. unten i.).

b. Was die Voraussetzungen angeht, ist festzuhalten, dass man es mit einer Ansammlung unbestimmter Rechtsbegriffe zu tun hat, so dass (gerade auch für den Kreditgeber) nicht ansatzweise eine hinreichende Rechtssicherheit gegeben ist. Ob (i) eine anfechtungsrechtliche relevante Sanierung vorliegt, (ii) die Realisierungswahrscheinlichkeit (ex post) als genügend betrachtet wird und (iii) das Entgegenkommen des Kreditgebers genügt, um als Sonderleistung zu gelten – zumal den kantonalen Instanzen in dieser Hinsicht ein erheblicher Ermessensspielraum zukommt – ist einer grossen Unsicherheit unterworfen.

c. Erst eine Sonderleistung macht ein normales zu einem Sanierungsdarlehen. Bemerkenswert ist, dass es in casu (im einzigen Fall, da bisher ein Sanierungsdarlehen bejaht wurde) eine Sonderleistung und damit ein Sanierungsdarlehen bejaht wurde, da die Banken die bis am 31. Dezember 2011 geltenden Kreditlinien von CHF 3 Mio. per 3. Januar 2011 auf CHF 2 Mio., per 31. Januar 2011 auf CHF 0.75 Mio. und per 28. Februar 2011 auf CHF 0.25 Mio. reduzierten, weil im Gegenzug der Restbetrag von CHF 0.25 Mio. einem Rangrücktritt unterstellt wurde und erst Ende Juni 2012 fällig war. Dies bedeutet, dass die Verschlechterung der Situation für CHF 0.25 Mio. (was knapp 8.5% entspricht) genügte, um die Rückzahlungen von CHF 2.75 Mio.  (was mehr als 91.5% entspricht!) unanfechtbar zu machen (BGer 5A_671/2018 E. 4.3.2.; Pra 2021 Nr. 8) Dies ist erstaunlich.

d. Auch die Folgen sind bemerkenswert: Zunächst wird die Aufnahme und Rückzahlung des Darlehens als Einheit betrachtet. Daraus wird gefolgert, dass es für die Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit „nicht isoliert“ auf den Zeitpunkt der Rückzahlung ankommt. Unausgesprochen soll diese wohl heissen, dass – und zwar ausschliesslich – nur auf den Zeitpunkt der Sonderleistung bzw. der Sanierung abzustellen ist. Damit wird die Rückzahlung anfechtungsresistent, weil die späteren negativen Umstände bei Vornahme der Rückzahlung urplötzlich unmassgeblich sein sollen. Dies ist ein Abkehr von Grundsatz, dass es für die Schädigungsabsicht und deren Erkennbarkeit auf den Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung ankommt.

e. Die mit dem Sanierungsdarlehen geschaffene Privilegierung (so ausdrücklich BGer 5A_671/2018 E. 4.3.1.; Pra 2021 Nr. 8) entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Es wird richterliches Sonderrecht geschaffen. M.E. erfolgt dies ohne klare Konturen (oben b.) und ohne Not (vgl. unten i.).

f. Auch wenn sich das Bundesgericht mit dieser Frage nicht befassen musste, ist festzuhalten, dass Ansprüche aus einem Sanierungsdarlehen, welche vor Konkurs noch nicht erfüllt worden sind, bei der Kollokation keine Privilegierung geniessen. Solche sind abschliessend in Art. 219 Abs. 4 SchKG geregelt. Wenn dem so ist, so stellt sich auch aus dieser Optik die Frage, weshalb es sich für Zahlungen vor der Insolvenz in anfechtungsrechtlicher Hinsicht anders verhalten soll.

g. Das durch das Konstrukt des Sanierungsdarlehens bewirke Ergebnis ist fragwürdig bzw. kann fragwürdig sein. Unproblematisch (dann aber auch entbehrlich) ist das Konstrukt, wenn im Zeitpunkt der Rückzahlungen die Sanierungschancen noch genügend hoch sind, sodass man sowohl die Schädigungsabsicht als auch deren Erkennbarkeit verneinen kann.

Wenn aber – und genau dies soll mit dem Konstrukt ja bewirkt werden (vgl. oben d.) – die Sanierungschancen im Zeitpunkt der Rückzahlung nicht mehr bestehen bzw. das Risiko eines Konkurses bedeutend grösser ist als die Sanierungschancen und trotzdem noch Rückzahlung geleistet werden, dann ist dies stossend und widerspricht dem Wesen des paulianischen Anfechtung. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Konstrukt bedeuten, dass noch am Tag vor der Konkurseröffnung das gesamte Darlehen (oder ein wesentlicher Teil davon) zurückbezahlt werden könnte, ohne dass dies anfechtbar wäre. Ob dies wirklich angestrebt wird bzw. erstrebenswert ist, muss bezweifelt werden.

h. Der konzeptionelle Fehler des Konstrukts (welcher gleichzeitig dessen Existenzgrund darstellt) ist, dass es – und zwar contra legem – weder für die Schädigungsabsicht noch für deren Erkennbarkeit auf den Zeitpunkt der schädigenden Handlung ankommt, sondern – zufolge der postulierten Einheit von Darlehensgewährung und Rückzahlung – für beide subjektive Elemente urplötzlich der frühere Zeitpunkt massgebend sein soll, als die Sonderleistung versprochen worden ist (vgl. oben d.). Damit wird das gesetzliche Konzept der Anfechtung aus den Angeln gehoben, die Anfechtung wird sinnentleert und ihres Wesens beraubt – wie gesagt ohne gesetzliche Grundlage.

In casu kann leider weder BGer 5A_671/2018 (Pra 2021 Nr. 8) noch dem vorinstanzlichen Entscheid KGer BS ZB.2017.34 E. 2.2 entnommen werden, wann die Rückzahlungen erfolgt sind, welche paulianisch angefochten worden waren. Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob es in diesem Fall überhaupt eines Rückgriffs auf das Sanierungsdarlehen bedurft hätte.

i. M.E. ist das erratische Konstrukt entbehrlich. Eine anfechtungsrechtliche Privilegierung kann systemkonform bewerkstelligt werden: Während einer Nachlassstundung mit Zustimmung des Sachwalters dem Schuldner gewährte Darlehen gelten als Masseverbindlichkeit und geniessen dadurch vom Gesetzes wegen ein „Superprivileg“ (Art. 310 Abs. 2 SchKG). Dies gilt ab Inkrafttreten (der Zeitpunkt ist noch unbekannt) des revidierten Aktienrechts noch a fortiori: Gemäss dem neuen Abs. 4 von Art. 285 SchKG sind Verbindlichkeiten, welche mit Zustimmung des Sachwalters eingegangen wurden, nicht anfechtbar (AS 2020 4067). Da eine provisorische Nachlassstundung, welche (seit Oktober 2020) sogar acht Monate dauern kann (Art. 293a Abs. 2 SchKG), auch „still“ gewährt werden kann (Art. 293c Abs. 2 SchKG), kann eine Sanierung ohne Weiteres in einem geregelten Verfahren erfolgen. Geregelte Verfahren sind per se besser als ungeregelte.

j. Schliesslich ist die Idee des Sanierungsdarlehens (so man ein solches propagieren will) zu eng angelegt. Wenn man zur Förderung von Sanierungen im Interesse aller Gläubiger die Erbringer von Sanierungsbeiträgen begünstigen will, indem Leistungen (insbesondere Zahlungen) des Schuldners an diese der paulianischen Anfechtung entzogen sind, dann geht es sachlich nicht nur um Darlehen. Jegliche Sanierungsleistungen, namentlich auch Dienstleistungen, müssen dann entsprechend gleichbehandelt werden.

k. Aufgrund des Gesagten ist das Konstrukt des Sanierungsdarlehens zufolge Richterrecht abzulehnen. Der Umstand, dass der Entscheid BGer 5A_671/2018 (Pra 2021 Nr. 8) nicht in die amtliche Sammlung (BGE) aufgenommen worden ist, kann man allenfalls so interpretieren, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

l. Wenn schon, dann bedarf es einer gesetzlichen Regelung. Wer versucht, eine solche aufzustellen, wird rasch merken, dass das Behältnis, auf welcher die Aufschrift „Sanierungsdarlehen“ steht, eine Pandorabüchse ist!

Kasuistik

Gläubigerschädigung bejaht

Gläubigerschädigung verneint

Gläubigerschädigung offengelasen

Kausalzusammenhang

Generell: Obwohl das Gesetz dies nicht ausdrücklich erwähnt, wird ein Kausalzusammenhang zwischen der angefochtenen Rechtshandlung und dem Schaden der Gläubiger verlangt. KGer BS ZB.2017.34 E. 2.2. KGer VD Jug/2009/44 E. I.d. Der Kausalzusammenhang muss adäquat sein. KGer VD Jug/2009/44 E. I.d.

Beweislast: Beim Vorliegen einer Gläubigerschädigung wird der adäquate Kausalzusammenhang vermutet. Die Ratio legis impliziert, dass eine anfechtbare Handlung im Grundsatz schadensstiftend ist. Diese Vermutung ist aber widerlegbar. KGer VD Jug/2009/44 E. I.d.

Mitwirkung eines Dritten: Die blosse Mitwirkung eines Dritten (in casu die Genehmigung des Vorstandes bei der Übertragung von Genossenschaftsanteilen), unterbricht den Kausalzusammenhang zwischen der Rechtshandlung des Schuldners und der Schädigung der Gläubiger nicht. BGE 135 III 513 E. 3.6.3.

Schädigungsabsicht des Schuldners

Begriff: Es bedarf keiner Schädigungsabsicht im eigentlichen (engen) Sinn (direkte Schädigungsabsicht). Es genügt, wenn der Schuldner voraussehen konnte und musste, dass die angefochtene Handlung Gläubiger benachteiligt oder einzelne Gläubiger gegenüber anderen bevorzugt. Es ist ausreichend, wenn der Schuldner sich darüber hat Rechenschaft geben können und müssen und gleichsam in Kauf genommen hat, dass als natürliche Folge seiner Handlung Gläubiger geschädigt werden (indirekte Schädigungsabsicht). BGE 137 III 268 E. 4.2. BGE 135 III 513 E. 4.1. BGE 135 III 276 E. 7.1. BGE 135 III 265 E. 2. BGE 134 III 615 E. 5.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGE 134 III 452 E. 4.1. BGer 5A_233/2022 E. 5.1 BGer 5A_671/2018 E. 3.5.1. (Pra 2021 Nr. 8) BGer 5A_82/2008 E. 4. Es genügt auch das Bewusstsein der Schädigung der zukünftigen Gläubiger. BGE 135 III 513 E. 4.4.

Weitentfernte Folge: Von einer natürlichen Folge kann dann nicht besprochen werden, wenn die Folge nur als etwaig und weitentfernt gelten kann. BGE 135 III 276 E. 7.1. KGer VD HC/2019/619 E. 3.2.3.3. AppGer BS ZB.2017.34 E. 5.2.

Eventualvorsatz: Es war lange Zeit unklar, ob blosse Fahrlässigkeit des Schuldners genügt. BGer 4C.262/2002 E. 5.1. Eine blosse Nachlässigkeit des Schuldners beim Bedenken der möglichen Folgen seines Handelns können aber nicht als grundlegende Rechtfertigung der schweren Sanktionen der Anfechtbarkeit genügen. Erforderlich ist Eventualvorsatz. Blosse Fahrlässigkeit genügt nicht. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.3. BGer 4C.262/2002 E. 5.1. HGer ZH HG110132 E. 4.7.1. AppGer BS ZB.2017.34 E. 5.2. OGer BE ZK 2017 288 E. 15. PKG 2001 Nr. 5 S. 52 KGer VD Jud/2012/259 E. III.a/bb contra KGer VD Jug/2009/29 E. V.ii. ZGer FR CC.2008.95 E. 4. wonach Fahrlässigkeit genügt.

Umstände/Zweck der Zahlung: Der springende Punkt bei der Beurteilung der Schädigungsabsicht ist, in welcher Situation und wozu die fragliche Leistung in Anspruch genommen worden bzw. die angefochtene Zahlung erfolgt ist. Wenn Aussicht auf Sanierung besteht und ernsthafte und erfolgversprechende Bemühungen gemacht werden, fehlt es dem Schuldner („schlicht und einfach“) an einem auf Schädigung gerichteten Willen,wenn er sich bei seiner Stabilisierung und in Aussicht genommenen Gesundung beraten lässt. BGE 137 III 268 E. 4.2.3. vgl. auch OGer BE ZK 2017 288 E. 16 – Nur wenn die Sanierung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich ist,so dass nur noch die Liquidation bleibt, ist die Schädigungsabsicht zu bejahen. ZR 2007 Nr. 22 S. 105 Massgeblich für die Sanierungsfähigkeit ist nicht der Zeitpunkt der Leistungserbringung des Dienstleisters, sondern der Zeitpunkt der Zahlung. OGer ZH LB070108 E. II.4.c – zu ernsthaften Sanierungsbemühungen, mit deren langfristigen Erfolg die Parteien rechneten vgl. auch BGer 5A_422/2019 E. 6 und die dort wiedergegebenen Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts.

Kommentar 11: Nachdem das Bundesgericht im Rechtsmittelverfahren den Entscheid des Zürcher Gerichts (ZR 2007 Nr. 22 S. 105) zurecht anders entschieden hat (BGE 134 III 452), ist diese kantonale ZR-Rechtsprechung überholt.

Schuldner, der um seine Rettung kämpft: Die Schädigungsabsicht fehlt, wenn der Schuldner ernsthaft um seine Rettung kämpft und diese erfolgversprechend erscheint. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8) (mit Verweis auf BGE 137 III 268 E. 4.2.3. und BGE 134 III 615 E. 5.1.).

Tatfrage: Die Schädigungsabsicht betrifft eine innere Tatsache und lässt sich unmittelbar nur durch Parteiaussage beweisen, im Übrigen aber bloss durch Schlussfolgerungen aus dem äusseren Verhalten und den äusseren Gegebenheiten, d.h. aus den Indizien BGE 135 III 276 E. 7.1. BGE 135 III 265 E. 5. BGer 5A_421/2008 E. 4.2. BGer 4C.262/2002 E. 5.1. AppGer TI 12.2018.142 E. 7.3.3 ZR 2009 Nr. 8 S. 30 ZR 2005 Nr. 78 S. 300 KGer SZ ZK1 2020 4 E. 4.2.b KGer VD HC/2019/619 E. 3.2.3.3. OGer ZH LB070108 E. II.4. AppGer TI 15.2017.7 E. 4.2. OGer BE ZK 2017 288 E. 15. KGer VD HD/2016/266 E. 4.2. KGer VD Jug/2009/44 E. II.c/bb KGer VD Jug/2009/29 E. V.ii. Hierbei handelt es sich um eine Tatfrage. BGer 5A_75/2015 E. 4. BGer 5A_604/2012 E. 4.4. BGer 5A_421/2008 E. 4.2. BGer 4C.262/2002 E. 5.1. Indizien sind insbesondere die finanzielle Situation des Schuldners. BGE 134 III 452 E. 7.4. BGer 6A_747/2010 E. 3.1. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.2. KGer VD HC/2021/839 E. 4.2  OGer ZH LB070108 E. II.4.d AppGer TI 15.2017.7 E. 4.2. OGer BE ZK 2017 288 E. 15.  KGer VD HD/2016/266 E. 4.2.  AppGer BS ZB.2014.21. E. 2.5.  KGer VD Jud/2012/259 E. III.a/bb KGer VD Jug/2009/44 E. II.c/bb  ZGer FR CC.2008.95 E. 4. ZivGer NE 2006.153 E. 3. ZR 2005 Nr. 78 S. 300  PKG 2001 Nr. 5 S. 52  Ein einzelnes Indiz genügt nicht, es bedarf einer Mehrheit von Indizien (“convergence”). KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/ii KGer VD Jug/2010/24 E. IV.ii. KGer VD Jug/2009/44 E. II.c/bb KGer VD Jug/2009/29 E. V.ii. Wesentliche Indizien einer Schädigungsabsicht sind die finanzielle Situation des Schuldners und deren Entwicklung, die Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäfts und das Verwandtschaftsverhältnis der Parteien. KGer VD HC/2021/839 E. 4.2 KGer VD Jud/2012/259 E. III.a/bb KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/ii KGer VD Jug/2009/44 E. II.c/bb KGer VD Jug/2009/29 E. V.ii. – Die Indizien unterliegen der richterlichen Beweiswürdigung. KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/ii KGer VD Jug/2010/24 E. IV.ii. KGer VD Jug/2009/29 E. V.ii. Auch wenn im massgeblichen Zeitpunkt keine Überschuldung vorlag, steht dies einer schlechten Prognose der Anfechtung nicht entgegen. OGer ZH LB070108 E. II.4.d Die Tatsache, dass die Vorbereitungen für die Deponierung der Bilanz (parallel zu noch möglichen Sanierungsmassnahmen) an die Hand genommen wurden, zeugt davon, dass der Schuldner die vorstehende Insolvenz als durchaus reale Möglichkeit erkannte. OGer ZH LB070108 E. II.4.e – Art. 288 SchKG kommt nur beim Vorliegen von „klaren Indizien“ zur Anwendung. KGer VD HC/2019/619 E. 3.2.3.4.

Kein automatischer Rückschluss bei Misserfolg: Wenn die im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung gegebenen Voraussetzungen aufgrund einer objektiven Prüfung auf eine Sanierung zu hoffen erlaubten, sollte man von einem Misserfolg nicht auf eine Schädigungsabsicht des Schuldners schliessen. BGE 134 III 615 E. 5.1.1. (Pra 2009 Nr. 44).

Sanierungsdarlehen/Ausschluss der Schädigungsabsicht?: Unter dem Aspekt der Schädigungsabsicht ist es relevant, ob es sich beim Darlehen um ein sog. Sanierungsdarlehn handelt oder nicht. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8) – Verweis: vgl. dazu auch oben

Kommentar: Vgl. oben Kommentar 10h

Rechtsfrage: Gestützt auf das äussere Verhalten und die äusseren Gegebenheiten ist zu beurteilen, ob begrifflich eine Schädigungsabsicht im Sinne des Gesetzes vorliegt. Dies ist eine Rechtsfrage. BGE 135 III 276 E. 7.1. BGE 134 III 452 E. 4.1.  BGer 5A_233/2022 E. 5.1 BGer 5A_421/2008 E. 4.2.

Beweislast: Der Anfechtungskläger trägt die Beweislast für die Schädigungsabsicht des Schuldners. BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 137 III 268 E. 3., E. 4. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 134 III 615 E. 5.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGE 134 III 452 E. 2. BGer 5A_233/2022 E. 3.2  BGer 5A_171/2021 E. 4.2.2  BGer 5A_835/2012 E. 2.2.  BGer 5C.219/2006 E. 3.1.  BGer 5C.261/2002 E. 3.  OGer GL OG.2016.00058 E. V.6.1.  KGer VD HC/2019/619 E. 3.2.3.3. Die dem Anfechtungskläger obliegende Beweislast für die Schädigungsabsicht wandelt sich mit dem Vorliegen einer finanziellen Bedrängnis des Schuldners zur Vermutung der Schädigungsabsicht, welche der Anfechtungsbeklagte zu widerlegen hat. AppGer BS ZB.2014.21 E. 2.5.

Kommentar 15: Eine formelle Umkehr der Beweislast tritt auch beim Vorliegen einer finanziellen Bedrängnis des Schuldners nicht ein. Dies ist nur ein, wenn auch wichtiges Indiz.

Handelsregistereinträge und Veröffentlichungen im SHAB sind gerichtsnotorisch. BGE 139 III 293 E. 3.3. BGer 5C.219/2006 E. 3.4. HGer SG HG.2008.56 E. 6f (=GVP 2010 Nr. 128)

Generell-abstrakte Erfahrungssätze: Soweit (in früheren Verfahren in Bezug auf denselben Schuldner) aus den äusseren Umständen generelle Schlüsse gezogen wurden, handelt es sich um generell-abstrakte Erfahrungssätze. Sie dienen dem Richter über den konkreten Fall hinaus als allgemeingültiger Massstab. Er wirkt wie ein Rechtssatz, ist notorisch und muss (in folgenden Verfahren) nicht bewiesen werden. HGer ZH HG110132 E. 4.7.8.

Bei Erfüllung von gesetzlichen Handlungspflichten: Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung (als Rechtsfrage BGE 133 V 477 E. 6.1., BGE 132 III 715 E. 2.3.) muss man zugestehen, dass der Schuldner nicht in Schädigungsabsicht gehandelt hat, wenn er (eine AG) in Nachachtung einer gesetzlichen Pflicht Zahlungen an die Revisionsgesellschaft vorgenommen hat. BGE 134 III 615 E. 5.2. (Pra 2009 Nr. 44) Die zu Hilfe geholten Spezialisten (Anwalt und Revisor) wurden im Zusammenhang mit gesetzlich vorgesehenen Massnahmen (Erstellen einer Zwischenbilanz und Benachrichtigung des Richters; Art. 725b OR bzw. Art. 725 aOR) beauftragt. Diese Honorare stehen im engen Zusammenhang mit der korrekten, geordneten Konkursabwicklung. Daran haben nicht nur sämtliche Gläubiger, sondern auch die Allgemeinheit ein Interesse. Bei einer „ganzheitlichen Beurteilung“ muss die Schädigungsabsicht des Schuldners, welcher kurz vor der Konkurseröffnung aus den letzten Aktiven beide Gläubiger bezahlte, verneint werden. OGer BE ZK 2017 288 E. 18 ff. Vgl. auch BGer 5A_64/2008 E. 6.8., wo das Bundesgericht offengelassen hat, ob diese Überlegung auch auf die Zahlung an einen Verwaltungsrat übertragbar sei. – contra: Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, ohne gesetzliche Grundlage auf dem Wege der Rechtsprechung ein zusätzliches und zeitlich unbeschränktes Konkursprivileg einzuführen. Nichts anderes täte das Gericht aber, wenn es die paulianische Anfechtung von Honoraren der gesetzlichen Revisionsstelle generell ausschliessen würde. ZR 2005 Nr. 78 S. 304

Kommentar 12: Die erstgenannte Rechtsprechung des Bundesgerichts (und des Obergerichts Bern) überzeugt nicht. Zum einen hat es hinsichtlich der Gläubigerschädigung zurecht entschieden, dass die Erfüllung gesetzlicher Pflichten (in casu Bezahlung von Arbeitgeberbeiträgen) die Anfechtung nicht ausschliesst (BGer 5A_316/2016 E. 4.4.; vgl. auch BGE 143 III 395 E. 4.1.; vgl. dazu oben). Zum anderen beschlägt die gesetzliche Pflicht zur Leistungserbringung die Revisionsstelle und nicht die schuldnerische Gesellschaft. Diese ist gesetzlich einzig verpflichtet (opting out vorbehalten), überhaupt eine Revisionsstelle zu bestellen (Art. 727a OR). Eine gesetzliche Pflicht der schuldnerischen Gesellschaft zur Zahlung von Honoraren der Revisionsstelle besteht nicht. Es besteht kein Grund, ohne gesetzliches Privileg Zahlungen an eine Revisionsgesellschaft anders zu behandeln als Zahlungen an sonstige Dienstleiter. Dass die gesetzliche Revisionsstelle ihre Leistungen nicht von der vorgängigen Leistung von Vorschüssen abhängig machen kann, rechtfertigt keine Sonderstellung. Anders als die Rechtsprechung des Bundesgericht überzeugt die oben zitierte Rechtsprechung des Handelsgerichts Zürich (ZR 2005 Nr. 78 S. 304).

Massgeblicher Zeitpunkt: Massgeblich für die Beurteilung der Schädigungsabsicht des Schuldners ist der Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Handlung. BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 134 III 615 E. 5.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGer 5A_671/2018 E. 3.3.2. (Pra 2021 Nr. 8) AppGer TI 12.2018.142 E. 7.3. ZR 2005 Nr. 78 S. 300 – bei einem sog. Sanierungsdarlehen soll der Zeitpunkt der Sonderleistung bei der Sanierung massgeblich sein; Verweis: vgl. oben Kommentar 10h

Bei Stellvertretung und Organen von juristischen Personen: Die Schädigungsabsicht von Stellvertretern und Organen ist dem Vertretenen bzw. der juristischen Person zuzurechnen. BGE 135 III 265 E. 2. BGE 134 III 452 E. 4.3. BGer 5A_116/2009 E. 4. BGer 5A_386/2008 E. 2. BGer 5A_82/2008 E. 4. BGer 5P.143/2000 E. 3. ZR 2009 Nr. 8 S. 30 AppGer BS ZB.2017.34 E. 5.2. HGer ZH HG110132 E. 4.7.4. OGer ZH LB070108 E. II.4.a

Kasuistik

Schädigungsabsicht bejaht

  • Rückzahlung eines Darlehens: In Anbetracht des Wissens des Schuldners (SAirGroup) um die „schlechte finanzielle Lage“ bzw. die „finanzielle Notlage“ muss davon ausgegangen werden, dass er zumindest in Kauf genommen hat, durch die Darlehensrückzahlungen an eine Bank könnten die anderen Gläubiger geschädigt werden. BGE 134 III 452 E. 7.4. BGer 5A_116/2009 E. 6. BGer 5A_386/2008 E. 4.
  • Rückzahlung eines Darlehens: In Anbetracht seines Wissens um die „finanzielle Schieflage“ und den sich aus der Darlehensrückzahlung ergebene „dramatische Liquiditätsengpass“, des seltsam anmutenden Vorgehens, die bereits ausgesprochen (ausserordentliche) Kündigung des Darlehens durch die Gläubigerin durch einen neuen Darlehensvertrag mit verkürzter Laufzeit zu ersetzten, agierte der Schuldner (SAirGroup) mit Schädigungsabsicht. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.2.2., E. 2.2.3.
  • Zahlung von Forderungen: Begleichung von Rechnungen für bereits geliefertes Kerosin durch die Swissair. BGE 135 III 276 E. 7.2. BGer 5A_567/2009 E. 4.3. (Zahlung am Tag des Gesuchs um Nachlassstundung, mit welcher Zahlung die letzte Liquidität abgeführt wurde)
  • Zahlung von Forderungen: Begleichung von Rechnungen für bereits erbrachte Dienstleistungen (Flughafengebühren) durch die Swissair am Tag des Gesuchs um Nachlassstundung. BGE 135 III 265 E. 5.
  • Verkauf eines Grundstücks: Verkauf eines Grundstücks, wobei der Käufer den Kaufpreis mit einer Forderungszession bezahlte und der Forderungsschuldner anschliessend Verrechnung (mit einer Darlehensforderung gegen den Gemeinschuldner) erklärte, und zwar in einem Zeitpunkt, als dem Schuldner die „äusserst kritische finanzielle Situation“ bewusst war BGer 5C.29/2000 E. 3c BGer 5P.35/2000 E. 5a
  • Verkauf eines Grundstücks: Verkauf eines Grundstücks und eines Schuldbriefs gegen Übernahme der Grundpfandschulden und im Übrigen unentgeltlich in einem Zeitpunkt, da der Schuldner überschuldet war und eine Betreibung für eine Forderung von rund CHF 2.2 Mio. im Gang war. KGer VD Jug/2012/259 E. III.a./bb
  • Übertragung eines Gutbetriebs eines (erst) 55-jährigen Vaters an seinen (erst) 19-jährigen, noch in Ausbildung stehenden Sohn, der den Hof gar (noch) nicht selbst bewirtschaften konnte, ohne dass Geld floss (Übernahme von Grundpfandschulden, Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts, „Verrechnung“ mit dem toten und lebenden Inventar), vor dem Hintergrund von erdrückenden Schulden und Betreibungen, welche in die entscheidende Phase gelangten. BGer 5A_19/2014 E. 5.2.
  • Abschluss eines für den Gemeinschuldner nachteiligen Mietvertrages KGer VD Jug/2009/44 E. II.c/aa.
  • Abschluss eines Ehevertrages mit Gütertrennung erst mehr als zehn Jahren nach dem Eheschluss, Gütertrennung wurde nur auf dem Papier gemacht, aber nicht vollzogen, alle werthaltigen Vermögenswerte wurden dem Eigengut der Frau zugeschlagen, während die wertlosen Beteiligungen und uneinbringlichen Forderungen als Eigengut des Ehemannes (Schuldners) aufgeführt wurden, Abrede, wonach bei Scheidung oder Trennung rückwirkend der ordentliche Güterstand gelten sollte BGer 5A_669/2014 E. 6.
  • Übertragung eines hälftigen Miteigentumsanteils an die Ehefrau, wobei der Kaufpreis nur durch Übernahme von Grundpfandschulden erfolgte, im Jahr vor dem Rechtsgeschäft in 23 Betreibungen Pfändungen erfolgten und in sieben Betreibungen der Konkurs angedroht wurde, die Vermögenslage des Schuldners zumindest bedrohlich war und der hälftige Miteigentumsanteils das Hauptaktivum darstellte. PKG 2001 Nr. 5
  • Übertragung eines Grundstücks und eines Schuldbriefs an die Ehefrau (wobei im einem Teilbetrag Verrechnung mit einer vorbestehenden Forderung der Ehefrau vorgesehen war) im Zeitpunkt, als gegen den Schuldner schon Betreibungen über mehrere Mio. CHF ausstehend waren, ein Pfändungsverlustschein von mehr als CHF 25 Mio. ausgestellt war und in einer neuen Betreibung über CHF 28 Mio. eine Pfändung anstand. KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/ii
  • Verkauf des Inventars eines Restaurants unter Übernahme von Passiven und unter Verrechnung mit Forderungen des Erwerbers, wobei sich unter den Kaufobjekten auch verheimlichte Aktiven befanden KGer VD Jug/2010/24 E. IV.ii.
  • Verzicht des Schuldners auf Lohnzahlungen (in der Absicht, kein Vollstreckungssubstrat zu generieren) Vorinstanz in OGer SO ZKBES.2021.121 E. 4

Schädigungsabsicht verneint

  • Zahlung von Forderungen der Revisionsgesellschaft, welche Zahlungen teilweise die Tätigkeit als Revisionsstelle und teilweise die Beratungsleistungen (wie das Erstellen eines Businessplans und des voraussichtlichen Rechnungsabschlusses) betrafen BGE 134 III 615 E. 5.3. (Pra 2009 Nr. 44)
  • Zahlung von Beratungsdienstleistungen, welche in einem direkten Sanierungskontext standen, da der Schuldner im Zeitpunkt der Zahlung noch nicht in dem Sinn unrettbar verloren schien, dass ein Fallieren so gut wie sicher bzw. als unabwendbar anzusehen war, sondern vielmehr aus damaliger Sicht von erfolgversprechenden Sanierungsbemühungen auszugehen war. BGE 137 III 268 E. 4.2.4.
  • Zahlungen im Zusammenhang mit eingeleiteten Sanierungsbemühungen, mit deren langfristigen Erfolg alle Beteiligten rechneten Erstinstanz in BGer 5A_422/2019 E. 6.1.
  • Zahlungen an einen Verwaltungsrat AppGer TI 12.2010.94 E. 9.1.
  • Bezahlung von Dienstleistungen eines Anwalts und einer Revisionsstelle, welche Arbeiten im Zusammenhang mit den gesetzlich vorgesehenen Massnahmen gemäss Art. 725 OR erbrachten, welche Leistungen im engen Zusammenhang mit der konkreten, geordneten Konkursabwicklung standen. OGer BE ZK 2017 288 E. 18 ff.
  • Rückzahlung eines Bankkredits dessen Verlängerung als Sanierungsdarlehen qualifiziert wurde (beim Sonderfall, dass alle nicht-rangrücktrittsbelasteten Forderungen vollständig bezahlt wurden und nur die Rangrücktrittsgläubiger leer ausgingen) BGer 5A_671/2018 E. 3 und E. 4 (Pra 2021 Nr. 8) AppGer BS ZB.2017.34 E. 4., E. 5.3.7.
  • Veräusserung sämtlicher Aktiven, um eine Schuld gegenüber der Bank zu bezahlen, da sich die finanzielle Gesamtsituation des Schuldners verbesserte und ein Schaden höchstens CHF 30‘000 betrug (zumal die angefochtene Handlung gegenüber den Angehörigen des Schuldners auch nicht zur Wiederzuführung der Vermögenswerte führen konnte, welche die Bank erhalten hatte) BGer 5A_421/2008 E. 4.3. und 4.4. 

Erkennbarkeit der Schuldnerabsicht durch den Anfechtungsgegner

Begriff: Es ist in Würdigung sämtlicher Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles zu beurteilen, ob der Begünstige die Schädigungsabsicht des Schuldners wirklich erkannt hat oder bei pflichtgemässer Sorgfalt (bzw. bei der ihm nach den Umständen zumutbaren Aufmerksamkeit) hätte erkennen können und müssen, dass als natürliche Folge der angefochtenen Handlung (möglicherweise BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 135 III 265 E. 2. BGer 5A_19/2014 E. 6. BGer 5A_567/2009 E. 5.1., E. 5.3.) eine Gläubigerschädigung eintritt. BGE 138 III 497 E. 7.3.  BGE 135 III 513 E. 5.1.  BGE 135 III 276 E. 8.1.  BGE 135 III 265 E. 2.  BGE 134 III 452 E. 4.2. BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1. BGer 5A_136/2021 E. 2.1.3.  BGer 5A_13/2022 E. 4.1.3  BGer 5A_171/2021 E. 4.2.1  BGer 5A_19/2014 E. 6.  BGer 5A_19/2014 E. 6.  BGer 5A_835/2012 E. 4.1.  BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1.  BGer 5C.3/2007 E. 3.4.  BGer 5C.261/2002 E. 3.3.1. KGer VS C1 21 80 E. 16.1 KGer VD HC/2021/839 E. 4.4.1  Es genügt Fahrlässigkeit. ZR 2007 Nr. 22 S. 100 (in Wiedergabe eines Entscheids vom 9. Juli 2002) KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/ii ZGer FR CC.2008.95 E. 4. contra: Erforderlich ist Eventualvorsatz, Fahrlässigkeit genügt nicht. HGer ZH HG110132 E. 4.8.1.

Kommentar 13: Dem letztgenannten Entscheid kann nicht zugestimmt werden. Fahrlässigkeit genügt.

Keine Schädigungsabsicht erforderlich: Eine Schädigungsabsicht muss einzig beim Schuldner vorgelegen haben, für die begünstigte Person muss diese nur erkennbar gewesen sein.  OGer SO ZKBER.2021.51 E. 4.2.

Erforderliche Aufmerksamkeit: Die unter den Umständen erforderliche Aufmerksamkeit hängt wesentlich von der Natur und der Dauer der Beziehung zwischen dem Schuldner und dem Begünstigen sowie davon ab, ob bzw. inwiefern der Begünstigte oder ein Dritter vom Rechtsgeschäft profitiert. KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii KGer VD Jud/2010/24 E. IV.iii

Grundsatz: keine Erkundigungspflicht: Eine unbeschränkte Erkundigungspflicht des Anfechtungsgegners besteht nicht BGE 138 III 497 E. 7.3. BGer 5A_233/2022 E. 6.1 BGer 5A_835/2012 E. 4.1. BGer 5A_82/2008 E. 4. Sorgfalt kann nur verlangt werden, wenn und soweit dazu Anlass besteht. Im Allgemeinen braucht sich niemand darum zu kümmern, ob durch ein Rechtsgeschäft die Gläubiger seines Kontrahenten geschädigt werden. BGE 135 III 265 E. 2. BGE 134 III 452 E. 4.2. BGer 5A_233/2022 E. 6.1 BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1. BGer 5A_19/2014 E. 6. BGer 5A_835/2012 E. 4.1. BGer 5A_747/2010 E. 4.3. – Aufgrund dessen sollte die Erkennbarkeit nicht leichthin angenommen werden BGE 135 III 276 E. 8.1.  BGer 5A_13/2022 E. 4.1.3  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1 BGer 5A_171/2021 E. 7.2  BGer 5A_316/2016 E. 5.3.  BGer 5A_85/2015 E. 4.2.  BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.3.  BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1.  BGer 5C.261/2002 E. 3.3.1. KGer VS C1 21 80 E. 16.1  KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii  KGer VD Jug/2010/24 E. IV.iii.  KGer VD Jug/2009/29 E. V.iii.  KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1. CACIV.2015.24 E. 4. CACIV.2014.23 E. 3.

Ausnahme: Erkundigungspflicht bei deutlichen Anzeichen: Nur wenn deutliche Anzeichen (in der älteren Rechtsprechung war nur von „Anzeichen“ die Rede: BGE 99 III 89 E. 4b) dafür sprechen, dass eine Schädigung beabsichtigt ist, darf vom Begünstigen eine sorgfältige Prüfung verlangt werden, ob jene Absicht wirklich besteht oder nicht. BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 135 III 265 E. 2.  BGE 134 III 452 E. 4.2.  BGer 5A_233/2022 E. 6.1 BGer 5A_13/2022 E. 4.1.3  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1., E. 4.3.  BGer 5A_316/2016 E. 5.3. BGer 5A_85/2015 E. 4.2. BGer 5A_19/2014 E. 6. BGer 5A_835/2012 E. 4.1. BGer 5A_747/2010 E. 4.3. BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.3. BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1.  BGer 5A_82/2008 E. 4. BGer 5C.3/2007 E. 3.4. KGer VD HC/2021/839 E. 4.4.1  CACIV.2015.24 E. 4. CACIV.2014.23 E. 3. KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii – Solch deutliche Anzeichen bestehen etwa, wenn es sich um eine unentgeltliche Verfügung handelt oder wenn die ausgetauschten Leistungen zueinander in einem derart krassen Missverhältnis stehen, sodass das abgeschlossene Geschäft praktisch als Schenkung erscheint BGer 5A_835/2012 E. 6.1.1. BGer 5C.3/2007 E. 3.4. ZR 2007 Nr. 22 S. 100 (in Wiedergabe eines früheren Entscheids vom 9. Juli 2002) KGer VD Jug/2010/24 E. IV.iii. KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii, der Schuldner seine Lebenshaltungskosten nicht bezahlten kann, gegen ihn zahlreiche Betreibungen geführt werden BGE 135 III 276 E. 8.1.  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1  BGer 5A_85/2015 E. 4.2. BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1., die Überschuldung, das unmittelbare Bevorstehen des Konkurses oder die kritische finanzielle Situation des Schuldners erkennbar waren BGE 135 III 276 E. 8.1.  BGE 135 III 265 E. 2.  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1  BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1.  AppGer TI 12.2010.45 E. 7. KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii oder das Rechtsgeschäft einen ungewöhnlichen Charakter hatte. ZR 2005 Nr. 78 S. 300 ZR 2007 Nr. 22 S. 100 (in Wiedergabe eines früheren Entscheids vom 9. Juli 2002) AppGer TI 12.2010.45 E. 7. (wo das einzige pfändbare Aktivum des Schuldners veräussert wurde), die Dauer der Beziehungen zwischen dem Schuldner und der Partei am anfechtbaren Rechtsgeschäft sowie das Bestehen von familiären Beziehungen BGer 5C.3/2007 E. 3.4. KGer VD HC/2021/839 E. 4.4.1 KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1.  KGer VD Jug/2012/259 E. III.a/cc KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii

Inhalt der Prüfungsobliegenheit: Die Prüfungsobliegenheit umfasst, den Schuldner zu befragen und die notwendigen Erkundigungen einzuziehen BGE 134 III 452 E. 4.2. BGer 5A_233/2022 E. 6.1  BGer 5A_835/2012 E. 4.1. KGer VD HC/2021/839 E. 4.4.1  KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii KGer VD Jug/2010/24 E. IV.iii. wobei sich der Anfechtungsgegner nicht einfach nur auf Zusicherungen des Schuldners verlassen darf. KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1. Das Befragen des Schuldners mag in familiären Verhältnissen zwar allenfalls unangenehm, aber weder unmöglich noch unzumutbar sein. Die Erkundigungen können Nachforschungen über die Marktwerte eines Objektes umfassen, welches Gegenstand des beabsichtigten Rechtsgeschäfts sind BGer 5A_835/2012 E. 6.3. (in casu die örtliche Bodenpreise) oder das Einholen eines Betreibungsregisterauszuges ZR 2007 Nr. 22 S. 100 (in Wiedergabe eines früheren Entscheids vom 9. Juli 2002) umfassen. BGer 5A_835/2012 E. 4.1.

Rechtshandlungen in der Sanierungsphase: Die Anfechtungsklage darf jedoch nicht dazu führen, dass Sanierungsversuche des Schuldners unmöglich oder sehr riskant werden; es liegt im Interesse der Gläubiger, dass Dritte versuchen, ihrem Schuldner zu helfen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, dass sie das Recht auf Rückerstattung ihrer Leisungen verlieren, wenn sich ihre Hilfe als nutzlos erweist. BGE 135 III 276 E. 8.1.  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1 BGer 5A_316/2016 E. 5.3. – Nur wenn die Sanierung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich ist, so dass nur noch die Liquidation bleibt, ist die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht zu bejahen. Der Gläubiger, dessen Forderung während der Sanierungsphase bezahlt wird, darf sich grundsätzlich einmal auf den Standpunkt stellen, er sei davon ausgegangen, die Leistung des Schuldners sei Bestandteil des Sanierungskonzeptes und die Entgegennahme sei daher unbedenklich. Nur wenn nachgewiesen ist, dass der Gläubiger diese Auffassung nicht hatte oder nach Treu und Glauben nicht (mehr) haben durfte, kann eine Anfechtung Platz greifen. ZR 2007 Nr. 22 S. 105 f.

Kommentar 14: Nachdem das Bundesgericht im Rechtsmittelverfahren zurecht anders entschieden hat (BGE 134 III 452 E. 5.4.), ist diese kantonale Rechtsprechung überholt.

Sanierungsdarlehen/Ausschluss der Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht?: Unter dem Aspekt der Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht ist es relevant, ob es sich beim Darlehen um ein sog. Sanierungsdarlehn handelt oder nicht. BGer 5A_671/2018 E. 3.5.2. (Pra 2021 Nr. 8) – Verweis: vgl. dazu oben

Kommentar: Vgl. oben Kommentar 10h

Sanierungsdarlehen/kantonales Präjudiz: Ausführlich zum Sanierungsdarlehen und zur Bejahung eines solchen und damit zur Verneinung der Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht (und damit Verneinung einer Anfechtung; es handelte sich um einen Sonderfall, indem alle nicht-rangrücktrittsbelasteten Forderungen vollständig bezahlt wurden und nur die Rangrücktrittsgläubiger leer ausgingen) AppGer BS ZB.2017.34 E. 4., E. 5.3.7.

Tat-/Rechtsfrage: Ob der Dritte die Schädigungsabsicht des Schuldner wirklich erkannt hat, ist Tatfrage. BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.2.  BGer 5A_136/2021 E. 2.3.2. Häufig kann der innere Willen nur indirekt aus Indizien ermittelt werden. BGE 135 III 513 E. 5.1.  BGE 135 III 276 E. 8.1.  BGE 135 III 265 E. 2.  BGE 134 III 452 E. 4.2.  BGer 5A_13/2022 E. 4.1.5  BGer 5A_171/2021 E. 4.2  BGer 5A_316/2016 E. 5.3.  BGer 5A_85/2015 E. 4.2.  BGer 5A_75/2015 E. 4.  BGer 5A_835/2012 E. 4.1.  BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1.  BGer 5A_386/2008 E. 2.  BGer 5C.261/2002 E. 3.3.1. KGer VS C1 21 80 E. 16.1  KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1.  KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii  KGer VD Jud/2010/24 E. IV./iii  KGer VD Jug/2009/29 E. V.iii. – Ob der Dritte die Schädigungsabsicht bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen können und müssen, ist Rechtsfrage. BGE 135 III 276 E. 8.1.  BGE 134 III 452 E. 4.2.  BGer 5A_13/2022 E. 4.1.5  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.2  BGer 5A_136/2021 E. 2.3.2.  BGer 5A_316/2016 E. 5.3.  BGer 5A_85/2015 E. 4.2.  BGer 5A_835/2012 E. 4.1.  BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1.  KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1.

Lebenserfahrung und Erfahrungssätze (in Bezug auf die Rechtsfrage): Im Rahmen der Würdigung der konkreten Umstände ist auch die Lebenserfahrung mit einzubeziehen, wenn sich der Sachrichter nur zum Zweck darauf stützt, aus den Gesamtumständen des konkreten Falles oder der bewiesenen Indizien auf einen Sachverhalt zu schliessen. Stellt der Richter hingegen ausschliesslich auf die Lebenserfahrung ab, so haben Erfahrungssätze eine über den konkreten Sachverhalt hinaus gehende Bedeutung. Diesfalls übernehmen sie die Funktion von Normen und werden daher den Rechtssätzen gleichgestellt. Erfahrungssätze brauchen nicht behauptet zu werden. Der Richter darf sie selbständig, aus eigener Erfahrung schöpfend, anwenden. Er darf ebenfalls jene Tatsachen berücksichtigen, welche sich aus dem Beweisverfahren ergeben, selbst wenn sie nicht gesondert behauptet wurden. BGer 5A_835/2012 E. 5.1. Zur allgemeinen Lebenserfahrung betreffend Informationsaustausch zwischen verheirateten Personen vgl. KGer GR KSK 15 1/KSK 15 2, E. 9.6.1. – Da allgemein bekannte Tatsachen und Erfahrungssätze auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sich niemand auf sie beruft, so müssen sie a fortiori als rechtsgenüglich behauptet gelten, wenn eine Partei auf sie hinweist, selbst wenn dies lediglich mittels allgemein gehaltenen Ausführungen geschieht. BGer 5A_835/2012 E. 5.2.

Beweislast: Der Anfechtungskläger trägt die Beweislast für die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht des Schuldners auf Seiten des Anfechtungsbeklagten. BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 137 III 268 E. 3., E. 4. BGE 136 III 247 E. 3. BGE 134 III 615 E. 5.1. (Pra 2009 Nr. 44) BGE 134 III 452 E. 2. BGer 5A_233/2022 E. 3.2, E. 6.2  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.1.  BGer 5A_136/2021 E. 2.3.2. BGer 5A_85/2015 E. 4.2. BGer 5A_835/2012 E. 2.2. BGer 5C.219/2006 E. 3.1. BGer 5C.261/2002 E. 3.  KGer VS C1 21 80 E. 16.1  KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1. CACIV.2015.24 E. 4.

Natürliche Vermutung bei Verwandten und Ehegatten: Bei den Umständen des Einzelfalles sind auch familiäre Beziehungen zu berücksichtigen. BGer 5C.3/2007 E. 3.4. KGer VD Jug/2012/259 E. III.a./cc Es gilt die natürliche Vermutung, dass nahe Verwandte wie Geschwister (BGE 40 III 293 und Nachkommen (BGE 138 III 497 E. 7.3. BGer 5A_19/2014 E. 6. BGer 5A_835/2012 E. 5.2. KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1.) [contra in Bezug auf Kinder, die nicht im selben Haushalt leben OGer ZH LB110068 E. 4.3.4.] sowie Ehegatten BGer 5A_85/2015 E. 4.2./E. 4.3. OGer SO ZKBER.2021.51 E. 4.2.  KGer GR KSK 15 1/KSK 15 2, E. 9.6.1. AppGer TI 15.2017.7 E. 4.1, E. 5.3. PKG 2001 Nr. 5 S. 53 KGer VD Jug/2012/259 E. III.a/cc KGer VD Jug/2011/64 E. IV.b/iii , soweit sie im gemeinsamen Haushalt leben (CACIV.2015.24 E. 4. „couple uni“ CACIV.2014.23 E. 4. „vivait en ménage commun“) als Begünstigte die wirklich vorhandene schlechte Vermögenslage des Schuldners kannten. BGE 138 III 497 E. 7.3.  BGer 5A_171/2021 E. 4.2.2  BGer 5A_85/2015 E. 4.2.  BGer 5A_669/2014 E. 7.  BGer 5A_19/2014 E. 6.  BGer 5A_604/2012 E. 4.3.  BGer 5A_835/2012 E. 5.2.  BGer 5A_747/2010 E. 4.3. (mit Verweis auf BGE 40 III 293 E. 2) KGer VD HC/2017/1105 E. 5.1. – Den nahen Angehörigen trifft damit eine besondere Erkundigungspflicht. BGE 138 III 497 E. 7.3.  BGer 5A_171/2021 E. 4.2.2  BGer 5A_85/2015 E. 4.2.  BGer 5A_669/2014 E. 7.  BGer 5A_19/2014 E. 6.  BGer 5A_747/2010 E. 4.3. Als Folge der Vermutung, muss der Anfechtungskläger nur den Abschluss des Rechtsgeschäfts mit dem nahen Angehörigen beweisen. BGE 138 III 497 E. 7.3.

Nahe Angehörige/Ausnahme: Bei unentgeltlichen Verfügungen, an welchen nahe Angehörige nicht beteiligt sind (in casu ein Erbverzicht), kann für sie die Vermutung nur greifen, wenn der Anfechtungskläger zumindest konkrete Anhaltspunkte liefert, die Anlass zur Annahme geben könnten, dass der Begünstigte um die Sachumstände wusste oder hätte wissen müssen. BGE 138 III 497 E. 7.3.

Massgeblicher Zeitpunkt: Für die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht des Schuldners durch die Gegenpartei ist der Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Handlung massgeblich. BGE 138 III 497 E. 7.3. BGE 134 III 452 E. 4.2. BGer 5A_671/2018 E. 3.3.2. (Pra 2021 Nr. 8) BGer 5A_835/2012 E. 4.1. BGer 5A_747/2010 E. 4.3. BGer 5A_93/2008 E. 3.2.1. BGer 5C.3/2007 E. 3.4. KGer VD HC/2019/383 E. 4.6. AppGer TI 12.2018.142 E. 12. AppGer BS ZB.2017.34 E. 5.2. – Bei einem sog. Sanierungsdarlehen soll der Zeitpunkt der Sonderleistung bei der Sanierung massgeblich sein; Verweis: vgl. oben Kommentar 10h

Bei Stellvertretung und Organen von juristischen Personen: Die Erkennbarkeit durch Stellvertreter und Organe ist dem Vertretenen bzw. der juristischen Person zuzurechnen. BGE 135 III 265 E. 2. BGE 134 III 452 E. 4.3. BGer 5A_116/2009 E. 4. BGer 5A_386/2008 E. 2. BGer 5A_82/2008 E. 4. BGer 5P.143/2000 E. 3. – Wenn dieselbe natürliche Person für den Schuldner und den Anfechtungsgegner agiert, dann muss bei Bejahung der Schädigungsabsicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass auch Erkennbarkeit vorliegt. BGer 5C.29/2000 E. 3a BGer 5P.35/2000 E. 5a AppGer BS ZB.2017.34 E. 5.2. HGer SG HG.2008.56 E. 6d (=GVP 2010 Nr. 128)

Handelsregistereinträge und Veröffentlichungen im SHAB sind gerichtsnotorisch. BGE 143 V 219 E. 4.3. BGE 135 III 88 E. 4.1. BGer 5A_82/2008 E. 6. BGer 5C.219/2006 E. 3.4. HGer SG HG.2008.56 E. 6f (=GVP 2010 Nr. 128)

Bei vorgängiger Schätzung des Vermögenswertes: Sofern vor einem angefochtenen Veräusserungsgeschäft die Vermögenswerte Gegenstand einer Schätzung im Rahmen eines SchKG-Verfahrens waren, welche dem Verkehrswert entsprechen, so begründet eine solche Schätzung durch die zuständige Behörde eine Vermutung des guten Glaubens für den Dritten, der sich auf diese Schätzung stützt. BGer 5C.261/2002 E. 3.3.2.

Kasuistik

Erkennbarkeit bejaht

  • Rückzahlung eines Darlehens: Ein Schuldner (SAirGroup), der die werthaltigen und gewinnträchtigen Unternehmensteile veräussern muss und sogar den Staat um finanzielle Hilfe angeht, kämpft erkennbar um sein wirtschaftliches Überleben. Jeder Gläubiger, der von ihm noch Zahlungen (in casu Darlehensrückzahlungen) entgegennimmt, muss damit rechnen, sein Schuldner könnte dadurch andere Gläubiger schädigen. BGE 134 III 452 E. 8.4.
  • Rückzahlung eines Darlehens: Eine Geschäftsbank hatte ursprünglich einen Betriebsrahmenkredit gewährt. Nachdem dieser ausgelaufen war, wurde dieser nur noch als kurzfristiger Termingeldkredit fortgeführt. BGer 5A_386/2008 E. 5.
  • Rückzahlung eines Darlehens: Eine international tätige und über entsprechende Informationsmöglichkeiten verfügende Geschäftsbank hatte ursprünglich einen Betriebsrahmenkredit gewährt. Dieser wurde über Jahre immer wieder problemlos um jeweils drei Monate verlängert. Es erfolgte eine plötzliche Verkürzung der Frist. Am Schluss wurde nur noch eine tageweise Verlängerung als Termingeldkredit gewährt. BGer 5A_116/2009 E. 7.
  • Rückzahlung eines Darlehens: Ausgiebige Presseberichterstattung, erneute Herabsetzung der Kreditwürdigkeit der Schuldnerin (SAirGroup) durch eine Rating-Agentur, vorzeitige bzw. ausserordentliche Kündigung des Darlehens, Fälligstellen gegen aussen als ordentliche Rückzahlung nach Vertragsablauf kaschierte vor dem Hintergrund der verbreiteten Cross Default- und Pari Passu-Klauseln in anderen Kreditverträgen BGer 5A_358/2008_5A_473/2009 E. 2.3.3.
  • Zahlung von Forderungen: Begleichung von Rechnungen für bereits geliefertes Kerosin durch die Swissair. BGE 135 III 276 E. 8.
  • Zahlung von Forderungen: Begleichung von Rechnungen für bereits erbrachte Dienstleistungen (Flughafengebühren) durch die Swissair, nachdem aus den Medien die katastrophale Situation des Schuldners (Swissair) bekannt war. BGE 135 III 265 E. 5.
  • Übernahme eines Gutbetriebs durch einen (erst) 19-jährigen, noch in Ausbildung stehenden Sohn von seinem (erst) 55-jährigen Vaters, wobei der Sohn den Hof gar (noch) nicht selbst bewirtschaften konnte, ohne dass Geld floss (Übernahme von Grundpfandschulden von knapp CHF 1.8 Mio., Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts zugunsten des Vaters, „Verrechnung“ mit dem toten und lebendem Inventar), so dass ein in diesem Ausmass im Leben einmaliges und existenzbestimmendes Geschäft vorlag BGer 5A_19/2014 E. 6.3.
  • Übertragung eines Grundstücks (unter Übernahme der Grundpfandschulden) und im Übrigen unentgeltlich auf die im gleichen Haushalt lebenden Ehefrau, an welchem Wohnort auch der Zahlungsbefehl für eine Forderung von mehr als CHF 2.2 Mio. zugestellt wurde. KGer VD Jug/2012/259 E. III.a./cc
  • Übernahme des Inventars eines Restaurants durch den Vermieter, welchem gegenüber eine Schuld von CHF 350‘000 bestand und welcher schon Mietausstände von CHF 100‘000 hatte, gegen teilweise Verrechnung des Kaufpreises mit den Forderungen des Vermieters, zumal das Organ des Vermieters, welches Jurist und Bücherexperte war, Einblick in die Buchhaltung der Verkäuferin/Schuldnerin hatte. KGer VD Jug/2010/24 E. IV.iii.
  • Abschluss eines Ehevertrages mit Gütertrennung: Anfechtungsbeklagte war die Ehefrau des Schuldners, ausgebildete Betriebsökonomin HWV und mithin in finanziellen Belangen kundig, plötzliche Übertragung von grossen Aktienpaketen, Darlehensforderungen, sämtlicher Liegenschaften und des ganzen Wagenparks auf die Ehefrau, wobei dies alles im Scheidungsfall keine Gültigkeit haben sollte, Abschluss just zu einem Zeitpunkt, da bereits die Medien über den Niedergang der Firmengruppe des Ehemannes (Schuldner) berichtet hatten BGer 5A_669/2014 E. 7.

Erkennbarkeit verneint

  • Erbverzicht zugunsten des Beklagten, welcher daran nicht beteiligt war, da der Anfechtungskläger keine konkreten Anhaltspunkte geliefert hatte, die Anlass zur Annahme gaben, dass der Begünstigte um die Sachumstände wusste oder hätte wissen müssen. BGE 138 III 497 E. 7.3.
  • Besicherung einer Darlehensforderung durch Schuldbriefe (unter den Umständen des konkreten Falles)  KGer VD HC/2021/873 E. 3.3, E. 3.4  BGer 5A_1059/2021 E. 4.1.2.1
  • Rückzahlung eines Bankkredits dessen Verlängerung als Sanierungsdarlehen qualifiziert wurde (beim Sonderfall, dass alle nicht-rangrücktrittsbelasteten Forderungen vollständig bezahlt wurden und nur die Rangrücktrittsgläubiger leer ausgingen) AppGer BS ZB.2017.34 E. 4., E. 5.3.7 

Abs. 2

Gesetzesänderung: Abs. 2 wurde per 1. Januar 2014 eingefügt (AS 2013 4111; BBl 2010 6455). Verweis: Zum intertemporalen Recht vgl. unter Allgemeines

Verhältnis zur früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung: Mit dieser Bestimmung wird die frühere bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach eine natürliche Vermutung besteht, dass ein Begünstigter, der ein Verwandter oder eine dem Schuldner nahestehende Person ist, Kenntnis von der prekären finanziellen Situation des Schuldners hat, gesetzlich verankert. Dies bewirkte eine erhöhte Erkundigungspflicht des Begünstigten.  BGE 138 III 497 E. 7.3  BGer 5A_136/2021 E. 2.3.2  BGer 5A_171/2021 E. 4.2.2  BGer 5A_85/2015 4.2

Nahestehende Person: Als nahestehende Person gelten der Ehepartner des Schuldners. BGer 5A_136/2021 E. 2.3  OGer SO ZKBER.2021.51 E. 4.2.  KGer SZ ZK1 2020 4 E. 4.3.b  und dessen Eltern BGer 5A_171/2021 E. 4.2.2, E. 7.2 sowie ein Cousin bzw. eine Cousine eines Verwaltungsrats der Gemeinschuldnerin KGer VD HC/2021/839 E. 4.4.2

Bei personellen Verflechtungen von Gesellschaften: Zwei Gesellschaften können nahestehend sein, wenn personelle Verflechtungen bestehen. OGer ZH LB190053 E. 4.1. (in Bezug auf Art. 286 Abs. 3 SchKG)

Bei einem engen freundschaftlichen Verhältnis: vgl. BGer 5A_233/2022 E. 6.2  KGer GR ZK2 21 3 E. 2.7.

Beurteilung im Einzelfall: Begriff der «nahestehenden Person». Dieser stammt ursprünglich aus dem Steuerrecht und findet sich seit der Revision von 1991 auch im Aktienrecht, im Bankengesetz und im AHVG. Der Gesetzgeber hat dabei ist in Kauf genommen, dass erst in Zusammenhang mit der Beurteilung des Einzelfalls entschieden werden kann, ob eine Person als nahestehend gilt. Es wurde deshalb bewusst eine generalklauselartige Umschreibung verwendet, um der Rechtsprechung die Möglichkeit für eine entsprechende Differenzierung zu ermöglichen. BBl 2010 6478  vgl. auch BGer 5A_171/2021 E. 7.3

Kommentar 19: Damit kann m.E. bei der Auslegung auch auf die Praxis zum Begriff der nahestehenden Person in diesen anderen Rechtsgebieten zurückgegriffen werden. Vgl. etwa Art. 368 Abs. 1, Art. 373 Abs. 1, Art. 376 Abs. 2, Art. 381 Abs. 3, Art. 385 Abs. 1, Art. 390 Abs. 3, Art. 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB, Art. 628 Abs. 2, Art. 663bbis Abs. 5, Art. 663c Abs. 3 OR, Art. 3 lit. h Ziff. 1 MWSTG, Art. 33 Abs. 1 lit a DBG.

Erhöhte Erkundigungspflicht: Die nahestehende Person trifft eine erhöhte Erkundigungspflicht. KGer VS C1 21 80 E. 16.1

Massgeblicher Zeitpunkt: Massgeblich dafür, ob eine Person nahestehend ist, ist der Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Handlung. KGer SZ ZK1 2020 4 E. 4.3.b OGer ZH LB190053 E. 4.1./E. 4.2.. (in Bezug auf Art. 286 Abs. 3 SchKG)

Beweislast: Es findet eine Umkehr der Beweislast statt BGer 5A_233/2022 E. 3.2, E. 6.1, indem den Beklagten die Beweislast trifft. KGer VS C1 21 80 E. 16.1  KGer VD HC/2021/839 E. 4.4.1

Beweis: Da es für den Begünstigten darum geht, eine negative Tatsache zu beweisen, deren Beweis naturgemäß schwer zu erbringen ist, genügt es jedoch, wenn er diesen Beweis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erbringt. BGE 142 III 369 E. 4.2.  BGer 5A_233/2022 E. 6.3  BGer 5A_136/2021 E. 2.3.2.  BGer 5A_171/2021 E. 4.2.2, E. 7.2

Konnex zur früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts: Die Regel von Abs. 2 bestätigt die frühere Bundesrechtsprechung, die die Existenz einer natürlichen Vermutung anerkannt hat, wonach der Begünstigte, der ein Verwandter oder eine dem Schuldner nahestehende Person ist, von dessen schlechter Vermögenslage Kenntnis hat, woraus sich für den Begünstigten eine erhöhte Auskunftspflicht ergibt. BGer 5A_13/2022 E. 4.1.4  BGer 5A_136/2021 E. 2.3.2.